Merkmals-Klassifikation bei den Blütenpflanzen


Äußere Merkmale

Jedes pflanzensystematische Klassifikationssystem spiegelt nur die Gewichtung wieder, die einzelnen Merkmalen gegeben wird.

Welche Merkmale sollten untersucht werden, um die Bedecktsamer (Angiospermae) oder Blütenpflanzen zu identifizieren und ihre Verwandtschaftsverhältnisse zu beurteilen?

Die folgenden Merkmale wurden in der traditionellen Pflanzensystematik als Unterscheidungsmerkmale verwendet:

  • Wuchsform (holzig, krautig usw.)
  • bestimmte Blattmerkmale (Fiederblätter, Nebenblätter)
  • die Anatomie des Holzes und anderer Gewebe und Organe
  • die chemischen Inhaltsstoffe und ihre ökologische Funktionalisierung
  • Blütenmerkmale (Kronblätter fehlend, frei oder verwachsen; Fruchtblätter frei oder verwachsen; Stellung der Blütenhülle zum Fruchtblattkreis)
  • Morphologie und Anatomie der Staub- und Fruchtblätter
  • Morphologie und Anatomie der Samenanlagen und Samen (Embryo, Samenschale)
  • Morphologie und Anatomie des Pollens

Dabei ist zu beachten, dass schon ein Großteil dieser klassischen Merkmale für das unbewehrte Auge nicht zu erkennen ist. Die Klassifikation der Pflanzenwelt fand also nicht immer in der freien Natur statt.


Viele dieser Merkmale sind in ihren Grundzügen und ihrer Funktion schon fast allen höheren Pflanzen gemein, und die besonderen Eigenschaften einer Verwandtschaftsgruppe befinden sich alle im Fluss. Die Variationen bestimmter Merkmale müssen daher nicht kennzeichnend für eine Entwicklungslinie sein und können sich schon bei nahe verwandten Gruppen unterscheiden.
Bestimmte Merkmale können zwar für eine ganze Gruppe kennzeichnend werden, ohne aber relevant für die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe zu sein, denn andere Gruppen haben dasselbe Merkmal entwickelt.

Offenbar gibt es ökologische Zusammenhänge, die dasselbe Merkmal ohne stammesgeschichtliche Verwandtschaft mehrmals hervorbringen; als Beispiel können die Laubblätter von Gnetum, einer Gymnosperme, dienen.

Solche analogen oder konvergenten Merkmale und Entwicklungen sind wahrscheinlich für das Überleben der Pflanzen und für praktische Belange von größerer Bedeutung als genetische Ähnlichkeit und phylogenetische Abstammung.



Vor allem die vegetativen und Wuchsmerkmale der Pflanzen scheinen so allgemein zu sein, dass sich eine verwandtschaftliche Gruppierung aus ihnen schwer ableiten lässt. Daher verlegte man sich auf die Untersuchung von Blüten und embryologischen Merkmalen, die bei den Bedecktsamern eine besonders große Komplexität erreicht haben.
Funktionalität und Bau der Blüten sind das wichtigste Kennzeichen der Angiospermen, während sich andere grundlegende anatomische Eigenschaften insbesondere der Sprossachse offenbar schon viel füher (im Karbon) entwickelt haben.

Aber auch bei Gymnospermen und sog. Niederen Pflanzen wird den Reproduktionsorganen und -zyklen eine größere Aufmerksamkeit geschenkt als den vegetativen Organen.
Vielleicht zu Unrecht - denn die vegetativen Organe waren es, mit denen sich die Pflanze an wechselnde Umweltbedingungen anpassen musste, was in besonderer Weise für die Landpflanzen gilt.


Mit dem Ziel, eine Systematik der Angiospermen nach phylogenetischer Verwandtschaft abzuleiten, muss man sich zunächst die Frage nach der Relevanz einzelner Merkmale stellen. Auf jeden Fall kann man die Grundregel aufstellen, dass ein Merkmal für sich genommen wenig Relevanz besitzt.


Bei der Hervorhebung von Einzelmerkmalen zur Charakterisierung verwandter Gruppen ist zu berücksichtigen, dass diese alleine genommen ein künstliches Merkmal darstellen.
Blüten gab und gibt es auch außerhalb der Angiospermen.
Auch die Zahl der Keimblätter eignet sich zur Definition der Einkeimblättrigen Pflanzen erst unter Herbeiziehung auch der anderen Merkmale, mit denen sich diese Entwicklungsgruppe deutlich von den übrigen Angiospermen unterscheidet.

Selbst so interessante Erzeugnisse des pflanzlichen Organismus wie seine Früchte sollten nicht als Hauptmerkmal überbewertet werden; spätestens innerhalb von Familien hat die Evolution oft die verschiedensten Fruchttypen hervorgebracht.


Klassische Merkmals-Systeme

Schon in der griechischen Antike unterteilte Theophrast die Pflanzenwelt in fünf Wuchstypen und erwähnte verschiedene morphologische Blütenmerkmale (Spichiger et al. 2004).

Von Theophrast wurde auch die ober- oder unterständige Stellung des Fruchtknotens erkannt, indem er beschrieb, wie die Frucht oberhalb der Blüte (oberständig beim Ölbaum und der Weinrebe) oder unterhalb der Blüte (unterständig beim Granatapfel, dem gewöhnlichen Apfel und der Rose) gebildet wird (Hutchinson 1969).


Andrea Caesalpino (1519 - 1603) scheint der erste gewesen zu sein, der die Pflanzenwelt mit Hilfe von 15 Klassen systematisierte, wobei er vor allem ihre Frucht- und Samenbildung berücksichtigte. Joseph Pitton de Tournefort (1656 - 1708) erarbeitete ein System mit 22 Klassen und 700 Gattungen, das hauptsächlich auf dem Kronblattkreis beruhte, wobei er bereits Apetales, Monopetales (= 'Sympetalae') und Polypetales unterschied.

Der schwedische Naturwissenschaftler Carl von Linné ('Systema naturae', 1735 / 'Genera Plantarum', 1737 / 'Spezies plantarum', 1753) erstellte ein System auf Grundlage der Staubblätter und Griffel.
Seine binominale Nomenklatur soll eine weitere Verkürzung der ihm vorliegenden wissenschaftlichen Artbeschreibungen in wenigen lateinischen Stichworten gewesen sein!

Die Linné'sche Klassifikation beruhte lediglich auf einem bestimmten Kennzeichen (den Zahlenverhältnissen der Blütenorgane im Blüteninneren), welches recht beliebig ausgewählt zu sein scheint. Schon zu Beginn des 19. Jh. bemühte man sich aber, die Verwandtschaft der Pflanzen anhand einer möglichst großen Zahl von Merkmalen zu ermitteln.

Adolphe Theodore Brogniart (1801 - 1876) bezog Fossilfunde in seine Phylogenie ein und gilt deshalb als Vater der Paläobotanik.

Augustin-Pyramus de Candolle (1778 - 1841) berücksichtigte erstmals die Anordnung der Gefäßbündel und definierte aufgrund dessen die Zweikeimblättrigen als Exogenae und die Einkeimblättrigen und Kryptogamen als Endogenae.

(Informationen in: Spichiger et al. 2004)



Die Verwachsenblumenblättrigen ('Sympetalae') in Schmeil's "Pflanzenkunde", 150.Aufl., 1931.


Die Untersuchung der Blütenblattkreise hat zu bleibenden Erkenntnissen über das phylogenetische System der Blütenpflanzen geführt, beispielsweise im Engler'schen System.

Es stellte sich aber als immer schwieriger heraus, die Pflanzenverwandtschaft allein aufgrund dieser Eigenschaften abzuleiten, denn diese Haupt-Unterscheidungsmerkmale des alten Candolle-Bentham'schen Systems (Hutchinson 1973) können auch innerhalb einer einzigen Gattung auftauchen.

Freie, verwachsene oder fehlende Kronblätter begründeten die übergeordneten Taxa der 'Polypetalae', 'Sympetalae' und 'Apetalae'.


In der Cronquist-Dahlgren'schen Systematik wurde die Engler'sche Abtrennung der 'Sympetalae' aufgegeben und durch ein halbes Dutzend neuer Super-Taxa (Überordnungen) ersetzt.
Verwachsene Blütenkronen entsprechen nur teilweise einem natürlichen Verwandtschaftskreis und kommen bei recht unterschiedlichen Entwicklungslinien vor.

Doch während die auf der Ebene über der Ordnung liegenden Gruppen dieser neuesten Systematik nach Cronquist und Dahlgren durch die APG-Klassifikation völlig aufgehoben wurden, werden die schon 1892 von Engler und Prantl begründeten 'Sympetalae' in den neuen Kladen teilweise bestätigt.


Ein weiteres anerkanntes pflanzensystematisches Kriterium war die Untersuchung der Fruchtblätter und Samenanlagen; auch diese Merkmale wurden zu einem entscheidenden Kriterium der Zugehörigkeit einer Pflanze zu übergeordneten Taxa (J. Hutchinson 1973):
freie Karpelle definierten die 'Apocarpae';
vereinte (u. Einzel-) Karpelle definierten die 'Syncarpae' mit den Untergruppen
- 'Parietales' mit wandständigen Samenanlagen,
- 'Axiles' mit zentralen Samenanlagen.


Auf Grundlage der Windbestäubung wurde ein bedeutendes, aber aus heterogenen Entwicklungslinien (polyphyletisches) Super-Taxon gebildet, das der 'Amentiferae', ebenso aber auch kleinere Taxa wie die Plantaginaceae s. str. (Stevenson 2012).


Erst am Ende des 19. Jh.s wurde eine Untersuchung der Pollenmorphologie mit dem Lichtmikroskop möglich (durch H. Fischer). Am Ende des 20. Jh.s wurde dann anhand von Pollenmerkmalen eine ganz neue Aufteilung der zweikeimblättrigen Angiospermen in Ein- bzw. Dreifurchenpollige vorgenommen, wobei sich die Einfurchenpolligen dieses Merkmal mit den Einkeimblättrigen teilen.





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Zur Systematik der Blütenpflanzen


1. Systematik als Taxonomie und Phylogenie

1.1. Neue Methoden

1.2. Parataxonomie

1.3. Ordnungs-
kategorien der Pflanzensystematik

1.4. Kladistik



2. Die Klassifikation der Blütenpflanzen (Angiospermae)

2.1. Die klassische Systematik

2.2. Die "Angiosperm Phylogeny Group"



3. Merkmals-Klassifikation

3.1. Äußere Merkmale

3.2. Klassische Merkmals-Systeme

3.3. Chemosystematik

3.4. Ökologische Verhältnisse



4. Evolution, Phylogenese, Verwandtschaft

4.1. Progressionen

4.2. Verwandtschaft - Beziehungen zwischen den Taxa



5. Fragwürdiger Output der APG-Kladistik

5.1. Beispiele



6. Quellenangaben





Chemosystematik und ökolog. Merkmale





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