Das Konzept des Ökosystems


Ein wichtiges Arbeitsgebiet der Ökologie sind sog. Ökosysteme: Als solche kann man z.B. einen aquatischen Lebensraum, eine ganze Landschaft, aber auch ein Labor, eine Stadt oder eine Agrarfläche verstehen.


Dann geht es in einem Ökosystem also weniger um Eigenschaften und Ansprüche von Einzelwesen und mehr um die Gesetzmäßigkeiten, Prozesse und Stoffe, die ihrer Existenz und dem Ganzen zugrundeliegen?

Nein, Ökosysteme sollten zuerst definiert werden durch Hintanstellen der abiotischen und in einem globalen oder gar kosmischen Maßstab wirksamen Faktoren zugunsten der biotischen Faktoren, die kleinräumig wirken und nur als Netzwerke und Populationen auf größere Umweltfunktionen Auswirkungen haben.

Im Grunde geht es um Auswahl, Analyse und gleichzeitig auch den Erhalt selektiver (von einem organismischen Standpunkt subjektiv herausgegriffener) Umweltaspekte.


Ein Ökosystem wird sehr stark geprägt durch das "Wirkungsgefüge zwischen Lebewesen" bzw. die Auswirkungen der Tätigkeiten von Lebewesen [BROCKHAUS 2007, Artikel "Ökosystem"].
Erst die Variabilität dieser Lebewesen unter dem Einfluss der Variabilität der äußeren Lebensbedingungen lassen einzelne Ökosysteme entstehen.


Von Ökologen wird betont, dass die Leistung von Ökosystemen auf ihrer Stabilität beruht, die dauerhafte ("geregelte") Wechselbeziehungen und Rückkoppelungen ermögliche und gleichzeitig durch diese Wechselbeziehungen und Rückkoppelungen aufrechterhalten wird.

Diese Stabilität beruht nicht allein auf günstigen abiotischen Standortbedingungen, sondern auch auf einer Biodiversität, die diese stabil erhält oder sogar verbessert. Der Verlust einer Population oder sogar einer Art durch außergewöhnliche Ereignisse kann dann durch andere Organismen, die die entstehende Nische besetzen, kompensiert werden; ein artenreiches Ökosystem besitzt ausreichende 'Plastizität' und damit die Fähigkeit zur Pufferung. [Fellenberg 2007]



Öko- und Geosystem


Der Begriff Ökosystem kann angefochten werden, weil mit ihm eher das physikalisch berechenbare und unbelebte Geosystem assoziiert wird, das allein durch den bestimmenden Einfluss der Sonnenenergie variiert wird. Und der Begriff System suggeriert, es handele sich um einen mechanischen Automatismus, der alle Bedürfnisse des Menschen oder anderer Lebewesen befriedige.


Eine weitere Schwäche des Ökosystem-Begriffes entsteht auch dadurch, dass er eigentlich nur unbewegliche Pflanzenformationen zu betreffen scheint, während stark spezialisierte, bewegliche, aber überwiegend recht unbedeutende heterotrophe Organismen von diesen abhängig bleiben. Folglich definiert sich ein Ökosystem eher durch äußere Standortfaktoren räumlicher und physischer Art als als durch selbstbestimmt handelnde Lebewesen.
Den Unterschied macht einzig und allein die sichtbare Pflanzenwelt, die selbst Biotop ist, und die vom Menschen so gerne zerstört wird.

Andererseits ist gerade dies ein eminent wichtiger Angelpunkt der Ökologie, dass nämlich Pflanzenformationen und autotrophe Organismen eine allgemein kaum bekannte ökologische Funktion ausüben - die der Beeinflussung des Klimas und des gesamten Geosystems.


Bei Betrachtung der Pflanzenwelt kann man eine Klima-zonale Anpassung feststellen, die am ehesten mit dem allgemein verbreiteten Konzept von Ökosystemen übereinstimmt und die von der Pflanzengeografie beschrieben wurde.

Dadurch entsteht mit Recht der Eindruck, dass die Geografie mehr praktische ökologische Erkenntnisse geliefert hat als die ökologischen Freilanduntersuchungen kleiner räumlicher Parzellen. Physische Realien sind auch einfacher zu begreifen als komplexe organismische Strukturen und Beziehungen.
Aber auch die physiologischen Reaktionen und Anpassungen der verschiedenen Arten sind wichtig und werden von Manchen als das wichtigste Arbeitsgebiet der Ökologie angesehen.



Offene und geschlossene Ökosysteme


Manche Autoren sehen den Planet Erde als geschlossenes System, weil kein Stoffaustausch mit anderen Himmelskörpern stattfinde. Natürlich darf der Input von Strahlungsenergie als alles entscheidender Faktor nicht vernachlässigt werden. Aber auch die übrigen Bestandteile des Planeten waren nicht immer schon da, sondern sind über längere geologische Zeiträume kosmischen Ursprungs gewesen.


Ökosysteme sind offene Systeme infolge des Inputs von Energie- und Stoffflüssen.
Ein Fließgleichgewicht der Ein- und Austräge eines Ökosystems ist bestenfalls ein selten erreichtes Modell. [Martin/ Sauerborn 2006]

Allerdings zeigt sich die Erde vor allem hinsichtlich ihres aktuellen Kohlenstoffhaushaltes als geschlossenes Ökoystem: da sich Organismen überwiegend aus Kohlenstoff-Verbindungen zusammensetzen, ist es vornehmlich auch der Kohlenstoff, aus welchem sich Ökosystem-Prozesse konstituieren.
Gewissermaßen handelt es sich hier um einen geschlossenen Kreislauf mit einem festen Pool und relativ konstanten Flussmengen, die zur Zeit durch Freisetzung fossiler C-Vorräte eine massive Störung erfahren.


Der Lebensraum Erde als ganzes ist andererseits infolge des Transportes anorganischer Stoffe und der Mobilität der Fauna und der pflanzlichen Diasporen ein offenes System.

Beispielsweise überwiegt in den Bergregionen der Austrag von Stoffen, ihr Eintrag in den Talregionen.
Bäche und Flüsse verlagern Boden und Detritus; auch Windtransport verursacht Bodenbildung (Löss) und Nährstoffzufuhr.
Ein immer bedeutender Stoff- und Energietransfer erfolgt durch den globalen Handel mit landwirtschaftlichen Produkten und Hilfsmitteln.


Ökosysteme sind offene, von Sonnenenergie abhängige Systeme, die einem von außen bestimmten Wandel unterworfen sind. Vielleicht sind sie gerade deswegen mit Organismen und ihrem Alterungsprozess vergleichbar.

Die Stoffflüsse werden zu einem gewissen Anteil von biologischen Prozessen kontrolliert und bilden dann innerhalb räumlich begrenzter Ökosysteme Kreisläufe.

Aber eigentlich kann weder von einem internen Gleichgewicht der Stoffflüsse noch von einem allgemeinen Fließgleichgewicht der Ökosysteme, wie sie oft beschworen werden, die Rede sein.

Stoff- und Energieflüsse können von biologischen Systemen zwar in begrenztem Maße genutzt, aber in weit geringerem Maße beeinflusst werden.


Die Energie- und Stoffflüsse durch Organismen sind weit weniger bezifferbar als die abiotischen Energie- und Stoffflüsse.
Doch nicht zuletzt infolge des Einflusses des Menschen weiß man, dass Lebewesen einen entscheidenden Faktor bilden und die Erde seit ihren Anfängen mitgestaltet haben.
Einen enormen destruktiven Einfluss auf das globale Ökosystem haben seit wenigen tausend Jahren auch die Haustiere des Menschen.


Selbst in der Agrarwissenschaft wird von einer Primärproduktion der Pflanzen gesprochen, dann aber von einer Sekundärproduktion durch die Haustiere, so dass Mensch und Verbraucher als Konsumenten des landwirtschaftlichen Ökosystems dastehen.
Auch hiermit wird das Wunschbild eines geschlossenen Systems suggeriert, das auf allen Ebenen unter gesellschaftlicher Kontrolle bleibt.


Bioanbau ist genauso wie jedes Ökosystem oder der Konventionelle Anbau auf externe Komponenten angewiesen:

  1. Sonnenlicht,
  2. Klimabedingungen,
  3. Wasser, das entweder durch Luftbewegungen oder durch Bewässerung herangeführt werden muss,
  4. und bereits nach kurzer Zeit der Bodennutzung auch auf Nährstoffe, die durch Kompostwirtschaft, tierischen Dung oder technisch gewonnene Stoffe ergänzt werden.


Bioanbau strebt jedoch geschlossene Stoffkreisläufe an, das widerspricht dem Modell offener Ökosysteme.
Geschlossene Stoffkreisläufe haben in einer Selbstversorger-Ökonomie durchaus finanzielle Vorteile.

Innerhalb eines Agrar-Betriebes lassen sich allerdings bestenfalls die Nährstoffkreisläufe regulieren, schon beim Wasserhaushalt sind die Kontrollmöglichkeiten begrenzt.


In einem größeren räumlichen Zusammenhang sind geschlossene Stoffkreisläufe wünschenswert, weil sie eine größere Widerstandsfähigkeit ('resilience') hervorbringen, indem sie durch interne Austauschvorgänge stabile Strukturen erzeugen.

Kennzeichen regionaler Ökosysteme und des Bio-Anbaus ist ihre Kontrolle durch biologische Prozesse.

Offene Austauschsysteme auf Grundlage industrieller Produkte bzw. polit-ökonomischer Vorgaben sind dagegen ungleich teurer und bergen die Risiken des plötzlichen Zusammenbruchs in sich - einerseits durch quantitative Erschöpfung der technischen Grundkomponenten, andererseits durch Vergiftungserscheinungen infolge des einseitigen Einsatzes gewisser Komponenten in zu großen Mengen.
Die zur Zeit im Übermaß eingesetzten Energieträger destabilisieren beispielsweise das Klima mit einer niemals vorgekommenen Schnelligkeit.




Ökosysteme als kybernetische Modelle


Die Abgrenzung bzw. Definition von Ökosystemen ist eigentlich künstlich, denn: "Natürliche Systeme sind immer offene Systeme" [Campbell 1987].

Hier werden Wissenschaftler in Auseinandersetzung mit der Ökologie häufig zynisch, wenn sie die "Offenheit" ihres Untersuchungsgegenstandes als Chance zu dessen Ausbeutung bzw. Vernichtung sehen wollen.

Als natürliche Abgrenzung von Ökosystemen dient natürlich die physikalische Komponente des Raumes.


Von größter Bedeutung ist, dass die Potentiale der Natur, die Existenz ökologischer Faktoren und Kräfte überhaupt wahrgenommen werden!

Das kann nicht heißen, dass sie einfach auf mathematische Formeln reduziert werden.

Mathematik ist entgegen der Meinung ihrer Verfechter nichts Reelles. Es ist keineswegs vernünftig, Realität auf Grund mathematischer Theorien schaffen zu wollen wie es in der Ökonomie geschieht - die Realität war schon vorher da.
Allerdings beruhen viele erkenntnistheoretische Prozesse und große Teile der Naturwissenschaften auf mathematischen Analysen.

Die völlige Abkoppelung der Finanzmathematik von realen Gegenständen führt paradoxerweise dazu, dass Verschwendung (der sogenannte Wohlstand) zum Ziel der Ökonomie erklärt wird.


Ein anderes abschreckendes Beispiel sind die Versuche, ökologischen Funktionen durch monetäre Wertgutachten gerecht zu werden.
Einerseits wird damit impliziert, dass ökologische Prozesse  i m m e r  gut in dem Sinne sind, dass sie Werte oder Wohlstand schaffen - was nicht wahr ist!
Auf der anderen Seite hat die Finanzmathematik den schwerwiegenden Kognitionsfehler, dass  b e s t i m m t e  ökologische Prozesse die Grundlage der materiellen Güter schaffen - in Wirklichkeit aber nicht die ökonomischen Prozesse!

Die Wertfindungen der Finanzmärkte müssten daher zuerst einmal geeicht werden auf diese positiven ökologischen Faktoren und Grundlagen.


Ökologie kann durchaus als kybernetisches Modell herangezogen werden, um agrarökonomische Prozesse und Produkte zu kalkulieren.
Verlockend ist beispielsweise die hohe Produktivität der feuchten Tropen, wobei aber vergessen wurde, dass diese vor allem auf lebendigen Pflanzengemeinschaften beruht, nicht auf den aus ihnen abgeleiteten rechnerischen Stellgrößen.

Sogenannten Ökosysteme definieren sich tatsächlich erst durch kybernetische Modelle von Stoffflüssen, wobei die ihnen zugrundeliegenden Lebensprozesse oft vernachlässigt werden. Immerhin sind derartige kybernetischen Ökosystem-Modelle aus der Notwendigkeit einer agrarischen Produktivität abgeleitet worden.


Schon beschreibende fachliche Terminologien haben nur Modell-Charakter. Ökologie ist eine Systemtheorie mit der Intention, das Ganze zu verstehen und zu beherrschen.

Reinhard Piechocki vermutet, die kybernetische Betrachtung eines Ökosystems beinhalte per definitionem höhere Steuerungs- oder Regelfunktionen und damit Zielgerichtetheit.
Diese Zielgerichtetheit nähert sich gewissermaßen wieder dem holistischen Konzept an. [Piechocki 2007]


Es ist aber eine völlig aberwitzige Theorie, man könne die Komponenten von Ökosystemen (und biologischen Systemen wie dem Genom) nach dem Grundschulkonzept der Mengenlehre beliebig austauschen, ohne dass diese Systeme Schaden nähmen.

In Wirklichkeit beruht die Lebensfähigkeit von Ökosystemen wie bei Organismen auf ihrer Unversehrtheit, Selbstentfaltung und Integration.



Kollaps


Ein Ökosystem wird weitgehend von Lebewesen gestaltet. Hierbei sollte aber notwendigerweise eher an die lebenserhaltende Umweltgestaltung durch Pflanzen gedacht werden als an die destruktive Umweltgestaltung durch Tiere oder gar den Homo tyrannicus.

Es könnte die Befürchtung entstehen, in den Einwirkungen von Menschen auf ihre Umwelt grundsätzlich etwas Unheilvolles erkennen zu müssen und die abiotischen und vegetativen Faktoren als das eigentlich Stabilisierende zu sehen. Eigentlich kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die vom Menschen geprägte Umwelt schon lange umgekippt ist!


Überall - auch in sozialen Systemen - begegnet man dem Phänomen des Kollapses, von welchem man auch selber bedroht ist. Verschiedenste biologische und nichtbiologische Systeme reagieren äußerlich kaum merklich auf sich verstärkende Belastungen, bis es unvermittelt zum Kollaps kommt, der nicht immer sofort deutlich erkennbar ist.

Der Kollaps kann durch einen Mangel oder ein Übermaß von Komponenten, oder durch den Tod biologischer Teilsysteme erklärt werden, aber auch treffend mit chemischen Reaktionen verglichen werden.


Wenn Einzelkomponenten in biologischen Systemen integriert werden, bilden letztere den Hauptaspekt des Ökosystems bzw. - in Analogie zur chemischen Reaktion - des Ökoprozesses.
Hier bleiben abiotische Aspekte ein entscheidender Faktor, z.B. in Form künstlich hergestellter Gifte.

Alle biologischen Systeme können unwiederruflich durch die technischen und chemischen Produkte der menschlichen Gesellschaft geschädigt werden. Diese Produkte vermögen es sogar, physikalische Prozesse negativ zu beeinflussen.

Eine Zerstörung biologisch produktiver Systeme ist erfolgt durch


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