Populationsgröße


Eine in Entwicklungsregionen oder -epochen häufige Sequenz ist Wirtschaftswachstum durch Bevölkerungswachstum und daraus folgend die Überschreitung der regionalen Tragfähigkeit.

Der entstehende Nahrungsmangel kann bekämpft werden durch Vergrößerung der Anbauflächen, Intensivierung des Anbaus, durch Außenhandel oder durch Migration [Glantz 1994]. Auch diese Strategien stellen jedoch eine Belastung der Tragfähigkeit dar, wenn nicht auf regionaler, dann langfristig auf globaler Ebene.


Der Terminus der 'Tragfähigkeit' bezieht sich in ökologischem Sinne auf Populationsgrößen abhängig von den Nahrungsressourcen und der Biomasse eines Raumes. Das legt die Verbindung des Begriffes auch mit dem unangepassten menschlichen Bevölkerungswachstum nahe - einem der gravierendsten globalen Umweltprobleme.

Nach Thomas Robert Malthus steht eine menschliche Reproduktion "in geometrischer Reihe", also "durch Multiplikation" einer Zunahme der Nahrungsproduktion in nur arithmetischer Reihe gegenüber.
Die menschliche Reproduktion erfolgt allerdings in weiteren Zyklen als das Zuwachspotential agrarischer Biomasse, was von Malthus nicht sehr präzise berücksichtigt wurde; das Notgeschrei soll alle Lösungsvorschläge übertönen!

Selbst wenn sich jeder Mensch nur während eines kleinen Teils seines Lebens dem Problem der biologischen Produktivität zu seiner eigenen Versorgung zuwenden würde oder könnte, wäre das Problem zu lösen.




Die Megalopolis


Ein Grundprinzip zivilisierter Gesellschaften ist, dass der Mensch nicht mehr in natürlichen Lebensräumen lebt.
Zuerst lebte ein kleiner Teil, schließlich sogar der größere Teil der Bevölkerung getrennt von den Stätten der Urproduktion und zuletzt spielte sich das Leben der zivilisierten Gesellschaft in einem technischen Konstrukt ab, dessen Hauptfunktion in der Ausbeutung eines immer ausgedehnteren Umkreises bestand.

Es entstand das Problem der parasitären Megalopolis.

Dieser Prozess stellt eine Bedrohung der biologischen Produktivität dar, er ist nicht nur mit der Zerstörung der lokalen Lebensgrundlagen menschlicher Populationen verknüpft, sondern auch mit der anderer Regionen, Lebensgemeinschaften und Arten.


Verstädterung und Bevölkerungskonzentration ist ein seit dem Altertum zu beobachtender Trend, der eigentlich dem Faktum, dass bei steigender Bevölkerungsdichte gleichzeitig die vor Ort verfügbaren Ressourcen abnehmen, zuwider läuft.

Vielleicht bietet das städtische Zusammenleben dem Menschen aber tatsächlich die Verheißung einer rationaleren Strategie der Ressourcennutzung durch Organisation, Vorausplanung und wirtschaftliches Denken. Man sollte sich aber keinen Illusionen darüber hingeben, dass diese Strategien jemals im Sinne von Sparsamkeit verstanden wurden, sondern vielmehr immer als maximale Ausbeutung und Zehren von der Substanz.
Immerhin wird es ein Pendeln zwischen der Ausbeutung der Natur und des Menschen gegeben haben.


Köln war im 15. Jh. mit 20000 Einwohnern die größte Stadt Deutschlands [Braudel 1972].

Demgegenüber kann man “.. von dem Istanbul des 16. Jahrhunderts, das mindestens 400000, wahrscheinlich sogar 700000 Einwohner zählte, als von einem städtischen Monstrum sprechen, das mit den größten Ballungszentren unserer Zeit vergleichbar wäre. Zum Leben brauchte diese Riesenstadt alle verfügbaren Schafherden des Balkan, dazu Reis, Bohnen und Getreide aus Ägypten, Holz und Getreide vom Schwarzen Meer, Rinder, Kamele, Pferde aus Kleinasien, und zur Auffrischung seiner Bevölkerung alle verfügbaren Menschen des Kaiserreichs, darüber hinaus auch Sklaven, die von den Tataren auf ihren Streifzügen durch Rußland und von den türkischen Geschwadern entlang den Küstenstrichen des Mittelmeers gefangen genommen und anschließend auf dem riesigen Markt Besistan im Herzen der ungeheuer großen Hauptstadt zum Verkauf angeboten wurden.” Fernand Braudel



Die Dörfler mussten den Städten Nahrung und Holz liefern, auch wenn sie selbst verhungerten [Remmert 1985].

Nachdem die Dörfler in einem großen Teil der Welt Städter geworden sind, wer soll nun für ihre Versorgung aufkommen? - Die Agrarindustrie natürlich!
Dass eine derartige Branche entstand und sogar notwendig ist, folgt allein aus der wachsenden städtischen Bevölkerung.


Für die Bedürfnisse der Wiener Bevölkerung war nach Studien aus dem Jahre 1996 und 1997 eine Fläche von 1,2 km²/Einw. notwendig. Die Millionenstadt Wien mit ihren 415 km² könnte also eigentlich "nur 385 Personen mit dem heutigen Lebensstandard Platz bieten". [Wittig/ Streit 2004]

Dennoch erweist sich dies als ein noch relativ bescheidener Flächenbedarf in direktem Vergleich zu Sammlern und Jägern, die weit größere Flächen benötigen.

Technische Entwicklung stellt also eine Chance dar, wenn auch bei einem hohen Risiko der Übernutzung und Zerstörung des Landes.




Faktoren und Ressourcen


Andere, auch technische Definitionen der Tragfähigkeit im Sinne von Belastungsfähigkeit beziehen sich auf einen Standort, eine Region, vielleicht aber auch eine Gesellschaftsform oder einen Betrieb im Widerstreit zu Belastungen allgemeiner (Klima, Bevölkerungsdruck) oder spezieller Art (Dürre, Invasion u.a.).

Verbreitet ist die Praxis, in der Tragfähigkeit eine Ressource zu sehen, die es um jeden Preis auszubeuten gilt.
Eine Maximierung der Tragfähigkeit der Ressourcenausbeutung ginge aber gleichzeitig auf Kosten des Lebensstandards - und das läuft dem eigentlichen Zweck der Ressourcennutzung zuwider!


Unterschiede im Ressourcenreichtum beeinflussen die regionale Tragfähigkeit. Die Belastbarkeit vieler Regionen ist weit überschritten: beispielsweise würden selbst zwei Drittel der Bewohner des von der Natur reich ausgestatteten Japans hungern, wenn sie nicht weltweit Fischerei betreiben und andere Nahrung gegen Industrieprodukte eintauschen würden [Jensen 2008].

Unter globalpolitischen Gesichtspunkten ist die agrarische Tragfähigkeit von zentraler Bedeutung.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Tragfähigkeit der Erde durch drei Faktoren bedroht wird: durch die Übervölkerung, durch den Viehbestand und durch die Technik.


Kreislaufsysteme bilden die Grundlage der Tragfähigkeit. Zu starke Eingriffe in diese Systeme können zum Verlust ihrer Nutzbarkeit führen.

Ganz im Gegensatz dazu bewegen Technokraten jedoch nur zwei große Hoffnungen:
1. die bestehenden Kreisläufe durch künstliche zu ersetzen - und seien es auch nur noch monetäre;
2. die lokalen Kreislaufsysteme zu einem offenen globalen System zu erklären, dessen Komponenten sich beliebig austauschen und ersetzen lassen.

In der Praxis beruhen die technischen Produktionssysteme nur noch auf den beiden Säulen Ausbeutung der Ressourcen und dem zu diesem Zweck notwendigen Energie-Input.


Natürliche Systeme wurden mit Gewalt aufgebrochen, in offene Systeme verwandelt, indem ihnen einerseits Stoffe entnommen wurden, andererseits nicht-solare Energie und künstliche Stoffe zugeführt wurden. Dabei wird der künstliche Input, der hohe Kosten, damit aber auch Gewinne verursacht, häufig als ökologische Notwendigkeit dargestellt.


In diesem Zusammenhang ist die Dehnbarkeit des Begriffs der Tragfähigkeit zu beachten. Durch die Möglichkeiten der Funktionsänderung oder der gezielten Manipulation wird die Tragfähigkeit der Ausgangssituation oder des Standortes verändert.

Die Qualität der örtlichen Bedingungen könnte durch technische Installationen zum Positiven verbessert werden, oder aber sie würde bei technischer Degradation zuletzt nur noch für die Funktionen einer Autobahn oder eines Bombodroms ausreichen.


Bei derartigen Konzepten sind die beiden häufig nur als Schlagworte gebrauchten Begriffe regelmäßig neu zu übedenken:

Offensichtlich werden Bedingungen noch als tragbar erachtet, wenn sie schon längst nicht mehr tragfähig sind. Dabei wäre selbst die Ressourcenausbeutung nur bis zur Grenze der Tragfähigkeit eigentlich schon nicht tragbar, denn sie erfolgt unter Verbrauch aller strategischen Reserven.


Die Tragfähigkeit eines Raumes hängt nach dem Verständnis der Technokraten auch davon ab, ob seine Funktionen durch Verkehrskontakte und Handelsaustausch substituiert werden können.
Zur Zeit ergibt sich aber gerade aus diesen Bemühungen das Problem, dass die Technifizierungs- und Austauschprozesse die globale Tragfähigkeit eher verringern als erhöhen. Die allgegenwärtigen Ausflüsse des sogenannten Wohlstands vom Viert-Auto bis zur Shopping-Mall führen zu hohen Ressourcenverlusten.


Bei völliger Beschränkung auf die Agrarproduktion wäre womöglich eine viel größere demografische Tragfähigkeit möglich; Johann Peter Süßmilch berechnete 1741 eine Tragfähigkeit der Erde für 13 Mrd. Menschen.

Wenn man den heutigen Zweckoptimismus der Technologen und Technokraten zur Versorgung einer Weltbevölkerung von etwa 10 Milliarden bis zum Ende des Jahrhunderts sieht, dann war Süßmilch der größere Realist.


Mit dem Ziel einer weitsichtigen Nutzung besteht die Notwendigkeit der räumlichen Analyse der Tragfähigkeit je nach Nutzungsart bzw. ökologischer Funktion.

Dabei ergibt sich das Abwägungsproblem, ob die scheinbare Erhöhung der Tragfähigkeit durch die Technologien urbaner Gesellschaften längerfristig reell ist.

Wahrscheinlich ist gar nicht die technische Erhöhung der Produktivität die Ursache urbaner Agglomerationen, sondern lediglich die mit der Bevölkerungskonzentration einhergehende erzwungene Verbesserung der Logistik. Und in der Gesamtanalyse der Produktivität dürfte der logistische Aufwand die Tragfähigkeit sogar stark herabsetzen.

Dann hätte es keinen Sinn, die biologische Tragfähigkeit verschiedener Regionen zu analysieren, sondern als vorausschauende Maßnahme müsste die globale Tragfähigkeit aller Tätigkeiten ermittelt werden. Als Gegenmaßnahme gegen die Überschreitung der globalen Tragfähigkeit müssten also vor allem die Prozesse der technologischen Logistik besser kontrolliert werden.




Quellenangaben


Thomas Robert Malthus: Das Bevölkerungsgesetz; hgg. u. übers. von Christian M. Barth (Originalausgabe London, 1798). München, 1977.

Fernand Braudel: Die Geschichte der Zivilisation. 15. bis 18. Jahrhundert. München, 1972.

Hermann Remmert: Der vorindustrielle Mensch (in: Naturwissenschaften 72. Jg. [1985], S.627)

M.H. Glantz (ed.): Drought follows the plow - cultivating marginal areas. New York, 1994.

Rüdiger Wittig/ Bruno Streit: Ökologie. Stuttgart, 2004.

Derrick Jensen: Endgame - Zivilisation als Problem. München/ Zürich, 2008.