Biologische Produktivität


Umweltzerstörung wird gerne mit dem fadenscheinigen Argument bemäntelt, es sei ja eine innere Notwendigkeit menschlicher Existenz - die Beschaffung von Nahrung -, die hierfür die Ursache sei.

Hunger rechtfertige den Umweltverbrauch.

Wenn dann aber jemand forderte, die agrarische Produktivität und die Naturausstattung einer Lokalität zu erhalten oder zu erhöhen, dann würde jede andere Nutzung als die bessere Idee angesehen.

Es geht hier ja auch nicht darum, dass Naturlandschaften umgestaltet werden, um ihre Erträge an Nahrung zu erhöhen. Der zwangszivilisierte Mensch hat Lebensräume mit hoher agrarischer Tragfähigkeit zerstört oder wanderte aus ihnen ab, weil seine Leitziele weit entfernt von den Erfordernissen einer natürlichen Produktivität angesetzt wurden. Dabei besteht nach wie vor eine Abhängigkeit von dieser natürlichen Produktivität.


Notgedrungen ist das Problem mit einzubeziehen, dass es in Wirklichkeit weniger die Landwirtschaft ist, die die Tragfähigkeit des gesellschaftlichen Raumes übermäßig belastet, als die Gesellschaft selber mit den ihr zugrundeliegenden politischen oder ökonomischen Strukturen.

Alle Naturprozesse werden auf die Funktion ihrer Ausbeutung reduziert und als Flächenertrag wird mit immer noch wachsendem Nachdruck ein finanzökonomischer Ertrag gefordert. Statt sich auf ihre Nützlichkeit zu besinnen, werden Naturprozesse bestenfalls als etatistisch-nationalistischer Legitimationsgrund popularisiert.



Der Raum selbst wird zum Operationsziel unternehmerischer Ausbeutung - hohe Immobilienpreise auch für dörflich-suburbane Lagen verdrängen die landwirtschaftliche und biologische Produktion in andere Regionen oder auf andere Planeten.

Kommerzielle und ideologische Funktionalisierung der biologischen Produktivität ist gleichzeitig die Automatisierung ihrer Zerstörung.

Je vollständiger diese falsche Funktionalität ist, desto weniger können sich ihr Einzel- und Gemeinwesen entziehen.

Industrialisierung ist gleichbedeutend mit zentralisierter gelenkter Produktion. Dadurch werden besondere Kosten und Schäden verursacht, nicht allein durch Transport und energieaufwändige Strukturen, sondern auch durch die Notwendigkeit der Ausschaltung von ökologischen und ökonomischen Konkurrenten.
In biologischer, aber auch in energiewirtschaftlicher Hinsicht ist dieses Technologiekonzept ineffektiv.

Der Kommerzialisierungsprozess wird durch Biotechnifizierung der Lebensprozesse ins Unendliche potenziert - niemand kann den Schaden für das Leben, nicht nur das außermenschliche, ermessen.


Der Funktionalisierung der Natur ist ohne Zweifel die politisch-technische Funktionalisierung des Menschen vorangegangen; erst dadurch sind Fehlleistungen dieses Ausmaßes möglich gewesen.

Erstaunlich, dass die vernichtenden Auswirkungen des Umweltverbrauchs, des Verkehrs, der Emissionen und künstlicher Substanzen auf die neuzeitliche Kultur- und Naturlandschaften immer noch als wohltätige Funktion der Ökonomie dargestellt werden.

Es wird angenommen, dass in Entwicklungsregionen die Umweltbelastung durch den Rohstoff- und Energie-Verbrauch und die Vernichtung der Vegetation noch gering sei, dabei ist sie dort zum Schutz der Ressourcen entwickelter Gebiete wahrscheinlich noch größer.



Ökologische Bilanz


Biologische Produktivität jenseits des Diktats weltlicher oder geistlicher Herrschaft ist keinesfalls eine selbstverständliche Vorstellung. Als Gegenkonzept zu der destruktiven Funktionalisierung biologischer Produktivität wäre auch ihre ökologische und konstruktive Funktionalisierung mit Hilfe von Bilanzen möglich!


Wirkungsbilanzen von Verfahren und Produkten sollten als Hauptbestandteil einer Ökobilanz nicht nur die Wirkung auf einen gesellschaftlichen Raum (zur Vermeidung der schlimmsten gesundheitlichen Schäden) berücksichtigen, also Arbeitssicherheit, Flächenbedarf, Emissionen von Abfall, Abwärme, Geruch, Lärm und Toxizität [Wittig/ Streit 2004], sondern auch die Auswirkungen auf die allgemeine biologische Produktivität.

Allerdings wird die Bilanzierung der Auswirkungen auf den Naturraum und auf andere Lebewesen und Menschen immer wieder mit dem seltsamen Argument zurückgewiesen, dass dadurch die Existenz bestimmter Menschen bedroht werde.

Wenn internationale Verhandlungen immerhin eine Verringerung des Ozonabbaus in der Stratosphäre erreichen konnten, um die akuten Hautkrebs-Risiken für den Menschen zu verringern, und wenn man im Jahr 2020 bereit war, zur Verhinderung einer Pandemie alle gesellschaftlichen Prozesse auf ein Minimum herunterzufahren, so scheint die Einsicht in die allgemeine Schädlichkeit jener Prozesse doch vollständig unterdrückt zu werden.


Mit dem Schlagwort 'ökologischer Fußabdruck' (richtig wäre : "Stiefeltritt des Psychopathen") wird die Wirkung des momentanen Lebensstandards bestimmter Menschengruppen auf ihre Umwelt bezeichnet.

Konkrete Berechnungen zielen dabei zu Recht auf den Flächenbedarf heutiger Menschen ab, der vielleicht trotz ihres extrem beengten gesellschaftlichen Umfeldes viel größer ist als es den Anschein hat. Dieses Umfeld verbraucht nicht nur Flächen für die Nahrungserzeugung, sondern viel größere für den Verkehr, für die Herstellung fragwürdiger Industrieprodukte und für die dafür benötigte Rohstoff- und Energiegewinnung.


Obwohl die USA den gewaltigsten Fußabdruck hinterlassen, wurde dieser ursprünglich durch die großen verfügbaren eigenen Ressourcen und Räume veranlasst! Doch auch ohne den Anreiz räumlichen Überflusses kommt es zu unangemessenem Umweltverbrauch. Eines der größten ökologischen Defizite haben die dichtbesiedelten Niederlande: sie benötigten zur Jahrtausendwende fast 250 % mehr Ressourcen als ihre Landesfläche hergab [Wittig/ Streit 2004].

Dabei sagt der ermittelte Flächenverbrauch noch nicht alles über die Qualität der Flächennutzung aus.



Die Technosphäre als Anthropozän


Eine ökologische Funktionalisierung wird verhindert durch die Kapitulation vor der Technosphäre, die ihrerseits das Ergebnis der Strategiespiele politischer Verbände ist. Das Automobil war das Mittel der vollständigen Unterwerfung unter die Technosphäre.


Automobile

Durchgangsverkehr. Niederbreisig, am 29. Oktober 2010. © STH.


In den Wissenschafts-Journalen wurde vor einiger Zeit eine Gleichsetzung der globalisierten Technosphäre mit einem neu eingeläuteten geologischen Zeitalter, dem Anthropozän vertreten. Natürlich ist das dadurch zu erklären, dass die Technologie mittlerweile solche Dimensionen angenommen hat, dass sie auch die geologische Entwicklung des Planeten zu beeinflussen scheint.
Der durch die Industriegesellschaft erzeugte Klimawandel ist der bedeutendste bzw. zerstörerischste Aspekt dieser anthropozänen Entwicklung.

Das Anthropozän der noch existierenden menschlichen Kultur und Technosphäre ist gekennzeichnet durch

[Wittig/ Streit 2004]


Technikgläubige argumentieren, nur die Technosphäre, die sich allerdings erst seit einem halben Jahrhundert konsolidiert hat, biete der Menschheit Sicherheit. Sie erzeugt wegen ihres absoluten Kontrollanspruches aber weniger Sicherheit als Abhängigkeit.

Das Traurigste dabei ist, dass die meisten Technologien vollkommen überflüssig sind, während Technik eigentlich nur jedes Mittel ist, mit dem Menschen (und manche Tiere) die natürliche Produktivität nutzen. - Der technologisch funktionalisierte Mensch wird natürlich ebenso überflüssig.


Auch Agrarflächen waren zwar schon immer ein Hauptbestandteil des Kulturraumes, doch gehörten sie einstmals zweifellos gleichzeitig dem Naturraum an, während die heutige konventionelle Agrarproduktion vollständig zum Bestandteil des industriellen Prozesses und damit der Technosphäre geworden ist.
Diesen Zusammenhang deuten die "schönen" Worte 'Tier- und Pflanzenproduktion' und Begriffe wie Humankapital, Gentechnik u.v.a. an.


Das durch eine Technosphäre geprägte neue geologische Stratum läutet gleichzeitig das Ende höheren Lebens und damit letztlich der Menschheit ein, deshalb ist seine Benennung als Anthropozän ziemlich unangemessen und abwegig!



Quellenangabe


Rüdiger Wittig/ Bruno Streit: Ökologie. Stuttgart, 2004.