Das Argument vom ökologischen Eigennutz


Strikter ökologischer Eigennutz der Gesellschaft im Sinne eines Raubtierverhaltens wirkt sich verheerend auf die Umwelt aus. Das gilt auch für den Eigennutz auf der untersten Ebene der Hierarchie.


Soziale Ökologie erkennt im menschlichen Potential (oder der Macht des Humanitären) auch eine Verpflichtung zum harmonisch-schonenden Umgang mit der biologischen Welt.
Denn der Mensch wird sich genauso gefährlich (und inhuman) gegen Seinesgleichen verhalten wie gegenüber der übrigen biologischen Welt. [Biehl 1997, ch.2, Einleitungstext]


Es scheint unter dem Hinweis auf die angebliche Ausrottung zahlreicher eiszeitlicher Tiere durch den Steinzeitmenschen als wahrscheinlich zu gelten, dass Menschen keinerlei Sensibilität für ökologische Zusammenhänge haben.

Ebenso wie andere opportunistische Prädatoren (Wölfe, Coyoten) befriedigen sie ihre Bedürfnisse gleichgültig auf welche Weise. [Murray Bookchin: "Twenty Years Later …", 1991 (in: Biehl 1997)]

Es wird also argumentiert, es könne genausowenig Sensibilität, wie der Steinzeitmensch für seine Jagdbeute hatte, vom modernen Menschen für die Umwelt erwartet werden. Murray Bookchin fand bei diesem Thema aber immer noch Zeit, klarzustellen, dass das keine Rechtfertigung sein könne für die Gier und Ausbeutung, die von manchen modernen Unternehmen praktiziert werde.


Dabei dient in Wirklichkeit auch soziales Verhalten dem ökologischen Eigennutz der Art oder des Individuums. Soziales Verhalten bezweckt beispielsweise diese beiden Dinge:
- sexuelle Reproduktion,
- Zugang zu Ressourcen.


Super-Prädatoren verhalten sich teilweise nur bei der Sexualität sozial, andererseits ist die Jagd bei anderen Raubtieren eine sozial integrierende Tätigkeit.


Wie dem auch sei, auf den unteren Hierarchie-Ebenen bleibt die Notwendigkeit von Lösungen entscheidend für das Problem, wie man sich nähren, kleiden und weiterbilden soll ohne die kapitalistisch oder totalitär organisierte Raubtier-Ökologie, die eine solche Subsistenz in Frage stellt.


Ökologischer Eigennutz wie ihn etwa ein Tiger anwendet, ist wahrscheinlich noch gemeingefährlicher als ökonomischer Eigennutz ...

Ökonomie beruht auf sozialen Prozessen des Austauschs, während pradatorischer Eigennutz diesen sozialen Prozess ausschließt.




Die Natur der Gesellschaft


Man ist sich nicht bewusst, dass es nicht nur eine Natur, sondern mehrere gibt. Es ist vor allem die Welt animalischer Gewalt und massenhafter sexueller Reproduktion, die sich in Form pseudo-rationaler Ideologien gegen die vegetative und somatische Natur richtet.


Etymologisch leitet sich der Begriff ‘Natur’ von dem lateinischen Stamm ‘nasc- = wachsen, entstehen' ab [Snyder 2011, ch.I].

Muss man dann das Gewachsene, Entstandene in einem Gegensatz zur Welt des durch Arbeit Geschaffenen sehen? Der Unterschied zwischen menschlicher Arbeit und der biochemischen Arbeit der Natur ist natürlich kein grundsätzlicher!

Und letztendlich dient sogar Geld nur dazu, Naturprozesse in Gang zu halten - selbst wenn es bei diesem Naturprozess um die Arbeitskraft von Millionen bezahlten Naturzerstörern geht ...


Auch gesellschaftliche Prozesse enthalten also natürliche Komponenten. Diese scheinen sich aber mit zunehmendem technologischem Potential ausschließlich destruktiv auszuwirken.

Die Eingriffe der Heterotrophie hatten zwar immer Störungen an der Lebens- und Pflanzenwelt zur Folge. Diese unabdingbare Zerstörung sollte in der menschlichen Gesellschaft aber wenigstens positive Ergebnisse in Form einer guten Arbeit hervorbringen!


Das übliche Dogma "Civilization is not a product of the physical environment …" [Gourou 1956] hätte nur dann eine Berechtigung, wenn man eine negative Einstellung zur Zivilisation hätte.

Und doch stellt die moderne Zivilisation ein ähnliches Ökosystem wie tiefe Höhlen ohne Lichtzufuhr dar - eine urbane Ökonomie auf der Grundlage technologischer Zuflüsse, aber ohne pflanzliche Primärproduktion [Grabherr 1997].


In der Encyclopaedia Britannica 2009 werden bäuerliche Gesellschaften im Gegensatz zu Stadtkulturen zu den ‘Primitiven Kulturen’ gerechnet.

Vielmehr sollte die Urproduktion als eigentlich erhaltenswerte Kultur eher positiv abgegrenzt werden gegen die nicht nachhaltige, hyper-extraktive und praktisch selbstzerstörerische urbane Kultur.


Der zivilisierte Mensch wurde gezüchtet, um von den gesellschaftlichen Verhältnissen in einem solchen Maße zum Narren gehalten zu werden, wie es kein Tier ertragen würde.


Schon in den 1960er Jahren wurde nach Ansicht von Murray Bookchin ["Towards a Liberatory Technology", 1965 (in: Biehl 1997)] die Beziehung des Menschen zur Natur und ihren Ressourcen ausschließlich mit Maschinen vermittelt. Daher kann gar kein Wissen mehr darüber bestehen, wie ein biologisch-ökologisches Gleichgewicht zu schaffen wäre!


Die Technologie wird in einer strikt zentralistischen Produktion hervorgebracht - energetisch betrachtet, in einer strikt zentralistischen Konsumption!

Mechanisierung zur Erleichterung der Arbeit muss dagegen nicht zwangsläufig zu einer zentralistischen Massenproduktion führen.

Im Gegensatz zur jetzigen Abhängigkeit von immanenten zentralen Mächten, würde die stärkere Abhängigkeit von lokalen Gegebenheiten zu einem vorsichtigeren Umgang mit den Ressourcen führen.


Das Thema des zeitgenössischen ökologischen Denkens ist nicht mehr nur das romantische Überleben der Urlaubslandschaft oder des röhrenden Hirsches, sondern vielmehr schon das "Überleben der Menschheit" [Trepl 1983]!

Zu diesem Zweck wurden zunächst "überlebensorientierte, defensive" Technologiekonzepte wie Rohstoffeinsparung und Kreislaufwirtschaft zur Diskussion gestellt [Trepl 1983], doch nur selten ganzheitliche Konzepte der Ökologie, die Naturprozesse einbeziehen.


Eine gewisse Furcht der Menschheit vor der Ökologie ist durchaus verständlich, denn der Gärtner weiss: "auf gesunden Pflanzen verhungern die Schädlinge" ...
Da der Mensch offensichtlich ein Schädling ist, müsste er im Analogieschluss in einer intakten Umwelt verhungern.




Der Ort der Natur


Natur ist auch die Erfahrung der ökologischen Bedingungen und Prozesse als lokalisierbare Gegebenheit, sie ist der "Ort als Erfahrung" [Snyder 2011, ch.II]) - und das nicht nur als sozialökonomische Theorie.

In der Theorie der ökonomisch orientierten Arbeitswelt besteht allerdings eine vollständige Austauschbarkeit dieses Ortes.
Oder es besteht in der urbanisierten Welt sogar eine technische Notwendigkeit zur Normierung des Ortes bis hin zur Installation eines normierten Ortes.

Es ist natürlich zu befürchten, dass die Entwurzelung der menschlichen Natur auf diese Weise auch ihr Ende bedeutet.


Das Wegenetz der Reisenden, die irgendwo einen Vorteil zu erreichen versuchten, brachte dem Sammler und Jäger keinen Ertrag [Snyder 2011, ch.VII].

Bringt das Netzwerk der Autobahnen und Verkehrsverbindungen der heutigen Menschheit noch einen Nutzen, der in irgendeiner Form aufzuwiegen wäre mit den von diesem Netzwerk verursachten Zerstörungen?


Wildnis blieb nur das, was sich für Verkehr und Ausbeutung wenig eignete. Sie sollte nicht zwanghaft einer zivilisatorischen Erschließung geopfert werden, die gar keinen Nutzen bringt.


Manche Amazonas-Indianer haben große Dorf- und Tanzplätze, die großflächig von jedem Bewuchs freigehalten werden. Auch Alfred Russel Wallace berichtete im 19. Jh., dass in den Indianerdörfern wöchentlich Unkraut gezupft wurde. Vielleicht sollte auf diese Weise auch das Eindringen von Giftschlangen verhindert werden.

Doch wäre wahrscheinlich niemand dieser sogenannten Primitiven auf die aberwitzige Idee gekommen, dass der Tanzplatz die Grundlage ihrer Subsistenz sei, wie es die Politiker und Wirtschaftsexperten der zivilisierten Welt behaupten.



Quellenangaben


Pierre Gourou: The Quality of Land Use of Tropical Cultivators (in: W.L. Thomas (ed.): Man's Role in Changing the Face of the Earth. Chicago, 1956.

Murray Bookchin: "Towards a Liberatory Technology", 1965 (in: Biehl 1997)

Ludwig Trepl: Ökologie - eine grüne Leitwissenschaft? - Über Grenzen und Perspektiven einer modischen Disziplin (in: Kursbuch 74: Zumutungen an die Grünen, Dezember 1983. Berlin, 1983.)

Murray Bookchin: "Twenty Years Later …", 1991 (in: Biehl 1997) [Bookchins "Ecology of Freedom" sei durch die 'New age' – Bewegung der 70er beeinflusst worden; in der 2. Auflage von 1991 unterzog er solche mystischen Konzepte einer kritischen Revision]

Janet Biehl (ed.): The Murray Bookchin Reader. London, 1997.
-- Chapter 2 - Nature, First and Second; Einleitung von Janet Biehl

Georg Grabherr: Farbatlas Ökosysteme der Erde. Stuttgart, 1997.

Gary Snyder: Lektionen der Wildnis; übers. von Hanfried Blume. Berlin, 2011. ("The Practice of the Wild", San Francisco, 1990.)
-- ch.I - Lektionen der Wildnis
-- ch.II - Ort, Region, Allmende
-- ch.VII - Auf dem Pfad, aus der Spur

Nathaniel Rich: Die zweite Schöpfung - Wie der Mensch die Natur für immer verändert. Berlin, 2022 (engl. Orig.ausgabe 2021).