Malthus


Eine von Thomas Robert Malthus veröffentlichte Theorie lautete, dass eine direkte Beziehung zwischen Versorgung oder auch landwirtschaftlicher Produktivität und Bevölkerungswachstum bestehe [Malthus 1798].

Die These der Ester Boserup war dagegen, dass im Gegenteil Produktivität und Entwicklung eher vom Faktor einer hohen Population ausgehen, und dass das Bevölkerungswachstum ein autonomer Prozess sei [Boserup 1965].
Die Bevölkerungsexplosion im Asien der Nachkriegszeit sei nicht wegen höherer Agrarerträge, sondern trotz deren Stagnation erfolgt.


Ist es wirklich eine so "wichtige Frage", ob eine hohe Bevölkerungsdichte die Folge oder die Ursache landwirtschaftlicher Intensivierung sei?

Malthus hätte recht, wenn er gesellschaftliche Umbrüche infolge einer technologischen Arbeitseinsparung beschriebe.

Doch erschien seine Streitschrift "On the principle of population" schon 1798 als Gegenargument zu sozialreformerischen Bestrebungen und zur Französischen Revolution und vor allem zu einem Zeitpunkt, als sich noch keine Spur von technologischer Arbeitserleichterung abzeichnete.


Dass eine fortgeschrittenere Infrastruktur zu einer dichteren Bevölkerung führt, kann man anhand des Beispiels der Urbanisierung oder des Beispiels kultureller 'melting pots' eigentlich nur bestätigen.
Diese Beispiele hinken allerdings ein klein wenig, weil diese Verdichtungsräume nur einen begrenzten Teil des anthropogenen Ökosystems darstellen.

Als gegensätzlicher Effekt würde auch der zeitweilige Bevölkerungsrückgang im islamischen Mittelalter in den Regionen der frühen Hochkulturen das Malthusianische Theorem stützen. Die gesellschaftliche Produktivität ging durch langfristige Überbeanspruchung zurück.


Da die Intensivierung der Agrarwirtschaft einen erhöhten Input an Arbeit erfordert, ist sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die Ursache der Zunahme der ursprünglich spärlichen Bevölkerung.

Durch Intensivierung verringert sich der Ertrag der geleisteten Arbeitszeit. Bevölkerungswachstum wäre demnach mikroökonomisch unrentabel.


Die Summe der Erträge erhöht sich allerdings. Bevölkerungswachstum wäre demnach makroökonomisch rentabel.

Hinzu kommen noch sekundäre Effekte:
1. der Zwang zu einer permanenten Arbeitsleistung,
2. der Zwang zu neuen Erfindungen wie die der modernen Maschinenwelt, die die Arbeitserträge im Vergleich zur Anfangsphase der Intensivierung noch ungemein erhöht hat.


Leider wird diese epochale Transformation der gesellschaftlichen Produktivität durch technologische Arbeitsleistung in der Analyse von Frau Boserup nicht berücksichtigt. Sie dürfte nämlich die eigentliche Ursache einer exponentiellen Bevölkerungszunahme sein und damit Malthus bestätigen.



Bevölkerungsdynamik und Bevölkerungsexplosion


Von Malthus und Kenneth Boulding wurde die pessimistische Prognose aufgestellt, dass eine Bevölkerungsexplosion nur durch Hunger, Krankheit oder Gewalt gestoppt werden kann [Glantz 1994].


Das Problem Bevölkerungsexplosion wird noch immer eher beschönigend denn als Gefahr dargestellt. Viele Kinder seien ein Mittel zur Altersversorgung und zur Arbeitserleichterung in Agrargesellschaften.
Schon diese Überlegung ist unglaubwürdig, da es sich bei diesen Gesellschaften schon jetzt um Mangelgesellschaften handelt, die eigentlich weder die Kinder noch die Eltern ernähren können.


In manchen Gesellschaften war Kinderreichtum eine gesellschaftliche Notwendigkeit zur Überwindung zwischenmenschlicher Konkurrenz.

Der eigentlich relevante Aspekt bewusst herbeigeführten Kinderreichtums wird zumeist vertuscht, nämlich, dass es sich um einen Akt politischer Ideologie handelt: Kinderreichtum wird ein Statussymbol, das signalisieren soll, hier ist ein starkes Volk oder eine erfolgreiche Sippe; - und vor allem, dieses Volk und diese Sippe werden sich gegen Andere durchsetzen!

Da es sich nicht allein um demotische Populationzunahmen handelt, sondern auch um die Zunahme der Sippenstärke, ist Kinderreichtum auch das Hilfsmittel eines versteckten Matriarchats.


Möglicherweise schüren die politischen Ideologen kinderreicher Gesellschaften die Hoffnung, mit Hilfe der Kinder könnte letztlich auch die Kontrolle über weniger kinderreiche Überschussgesellschaften erlangt werden - und diese Option hat tatsächlich in der Geschichte eine Rolle gespielt, wenn auch zum Nachteil von Kultur und Umwelt.



Die Produktivität der Bevölkerung


Durch eine wachsende Bevölkerung entsteht der Zwang zur Erhöhung der Produktivität der von ihr genutzten Räume.

Umgekehrt ernährt eine erhöhte Produktivität aber auch eine dichtere Bevölkerung; ihr demografischer Druck bewirkt die Verdrängung der traditionellen bevölkerungsarmen Subsistenzgruppen. [Diamond 1998]
In Neuguinea expandierten die Stämme mit Kontakt zur Außenwelt und ihren Ressourcen auf Kosten der übrigen Stämme.


Ester Boserups Analyse der Tragfähigkeit vorindustrieller agrarischer Gesellschaften von 1965 kommt zu dem Schluss, technologischer Wandel sei ursächlich mit Bevölkerungswachstum verknüpft. (Was auf eine gewisse Hast bei der technischen Innovation unter dem Druck des Bevölkerungswachstums schließen lässt.)

Doch wenn das Bevölkerungswachstum in naturnahen Gesellschaften nicht bereits gruppenintern gering war, dann wurde es durch Hunger, Krankheiten und Gewalt gedrosselt. In solchen Populationen bestand die Notwendigkeit technischen Fortschritts also gar nicht.

Man könnte daraus die Idee ableiten, dass nur volkreiche Länder technologisch und kulturell innovativ sein können. Dem Augenschein nach ist es aber vielleicht gerade umgekehrt. Sogar die innovativsten Neuentwicklungen werden durch übermäßiges Bevölkerungswachstum zunichte gemacht - die wohltätigste technisch-kulturelle Erfindung wäre einfach die Beschränkung des Bevölkerungswachstums.

Bei sehr schnellem Bevölkerungswachstum wird auch die Naturausbeutung beschleunigt, was anhand der Agrarrevolution des 18. Jh.s in Westeuropa zu beobachten war [Boserup 1965]. Dabei macht es keinen großen Unterschied, ob dies allein durch Arbeitsintensivierung oder durch Technologieeinsatz geschieht.


Zu dem sicher plausiblen Boserup'schen Modell der Intensivierung durch demografisches Wachstum gibt es Abweichungen.

Die Umweltbedingungen stellen einen ebenso gewichtigen Faktor dar wie die Produktivität der Bevölkerung.

1. Die Erschließung großer Erdräume durch europäische Siedler bildet ein offenkundiges Gegenmodell zur Notwendigkeit der Nutzungsintensivierung in der übervölkerten Alten Welt. Und auch diese expansiv-extensive Situation hat große technologische Neuerungen hervorgebracht!

2. Die intensivsten Methoden der Kultivierung wurden naturgemäß nur in flächenmäßig begrenztem Umfang angewendet, während viel größere Flächen weiterhin nur sporadisch oder durch Brandrodung genutzt wurden. In Schweden soll die Brandrodung in dünn besiedelten Landschaften noch bis zum Anfang des 20. Jh.s üblich gewesen sein [Boserup 1965].

3. Überhaupt sind Intensivierungspotentiale, wie sie nachfolgend aufgeführt werden, in der Agrargeschichte nicht überall vorhanden gewesen:
- die Möglichkeit zur Brandrodung in fruchtbaren Waldökosystemen,
- die Möglichkeit zur Bewässerung und zur Düngung mit Flusssedimenten,
- die Möglichkeit zur Bodenbearbeitung mit dem Pflug, der von domestizierten Tieren gezogen wird (mit positiver Rückkoppelung der tierischen Dünger),
- die Möglichkeit zur technischen Transformation mit Hilfe fossiler Energie und chemischer Industrie.



Konzentration der Produktivität


So wie bevölkerungsreiche Gebiete zu Investitionen gezwungen sind, sind bevölkerungsarme Gebiete zu Investitionen gar nicht in der Lage [Boserup 1965].

In ihrem Bemühen, die These von dem ökonomischen Nutzen des Bevölkerungswachstums zu stützen, hat Ester Boserup aber ein einfaches Hilfsmittel der Investition verschwiegen: die Konzentration der Bevölkerung in sonst dünn besiedelten Gebieten.
Die archäologischen Befunde des Nahen Ostens belegen, dass Urbanisierung die frühesten Stadien der Landwirtschaft begleitete, und auch schon in der älteren Steinzeit konnten technische Fortschritte durch lokale Bevökerungskonzentrationen erreicht werden.


Die verfügbaren Flächenressourcen sind wahrscheinlich i.A. groß genug, um durch starkes Bevölkerungswachstum den Vorteil geringerer pro-Kopf-Investition in den Arbeitsaufwand zu nutzen [Boserup 1965].

Es geht allerdings auch um die Qualität dieser Flächen - weder zur Wüste degradierte Agrarlandschaften noch eine zerstörte Technikfolgenlandschaft können dichte Populationen ernähren.


Die Vorteile "sozialer Aggregationen" bevölkerungsreicher Gebiete wurden häufig durch Versklavung bestimmter Populationen erreicht, die gezwungen wurden, die Lasten der 'Arbeitsteilung' zu übernehmen [Boserup 1965, Ch.8].

Eine solche Versklavung kann dadurch erzwungen werden, dass bestimmte Eliten die breite Bevölkerung daran hindern, unter Wahrnehmung traditioneller Landrechte eine selbstbestimmte Tätigkeit auszuüben.

Frauen in den polygamen Gesellschaften Afrikas seien eigentlich Sklaven, die die Arbeiten sowohl im Haus als auch in der Landwirtschaft zu verrichten hätten [Boserup 1965]. Andererseits ist Afrika eine der wenigen Weltgegenden, in denen Frauen die Verantwortung des Königtums übertragen wurde und wird.


Ein hohes oder durch die Stammesideologie beschleunigtes Bevölkerungswachstum konnte durch bestimmte Stämme dazu genutzt werden, andere als Sklaven zur Erhaltung ihrer dominierenden Sozialgemeinschaft zu missbrauchen; man will ja sogar eine zur Schau gestellte Untätigkeit (und Unfähigkeit) der kriegführenden Stämme beobachtet haben ...

Dabei erzeugte der Sklavenraub eine Konzentration von Populationen auf Kosten der Brandrodungs-Kulturen, die auf diesem Wege gleichzeitig militärisch geschwächt wurden.
In Afrika habe der Sklavenraub außerdem dazu geführt, dass die zugänglichen Regionen immer menschenleerer - und unkultivierter - wurden.
[Boserup 1965, Ch.8]


Ester Boserup führt hier aus, dass die erzwungene Bevölkerungszunahme durch Sklaverei die Vorstufe der Technologie und Zivilisation gewesen sei.
Ein Fortschritt finde hingegen eher durch mäßiges Bevölkerungswachstum und einen friedlichen Austausch von Technologien statt.



Feudalismus und Wachstum


Feudalherren haben das größte Interesse an einer dichten arbeitenden Bevölkerung, weil sie ihre Einkünfte erhöht.

Die Autorin vertritt die Theorie, dass der feudale Haushalt mit seinen Soldaten, Dienern und handwerklichen Produzenten von Luxusgütern die agrarische Arbeitsproduktiviät durch den Entzug von Menschen zusätzlich zu den eingezogenen Ernteanteilen schwächte; dadurch wurde Armut erzeugt. [Boserup 1965, Ch.11]

Wenn man darüber hinaus den Feudalismus auf die gewollte kriegerische Expansion und Versklavung durch das Wachstum der eigenen Bevölkerungsgruppe zurückführen kann, dann hat man gleichzeitig die Ursache von Not und Hunger benannt.


Feudalherrschaft kann nur prosperieren, wenn es eine kontinuierlich wachsende Bevölkerung gibt, die für Steuern, Soldaten und die Hofhaltung sorgt. Dieses feudale Modell des Wirtschaftens bildet noch heute die Grundlage der ökonomischen Theorie von der Notwendigkeit des Wirtschaftswachstums.

Feudalherr und Wirtschaftsfunktionär hoffen, von einer Konzentration der Bevölkerung und Intensivierung der Produktivität profitieren zu können.


Die Simulation von Staatlichkeit durch einen Oberherrscher und lokale Gouverneure wird zu einem exploitativen Zentralismus führen und durch seine lokalen Repräsentanten zum Missbrauch ihrer Stellung. [Boserup 1965, Ch.11]

Der exploitative Herrschaftsanspruch kann soweit gehen, dass die notwendigen Investitionen in die agrarische Produktion vernachlässigt werden. Daher gehörten die Frondienste zum Bau und Unterhalt von Bewässerungsanlagen im Vorderen Orient noch zu den sinnvolleren Investitionen.

Sozialpathologisch besonders interessant war das Geschäftsgebaren der frühen Skandinavier, deren feindliche Übernahme aller Wertgegenstände und Handelsströme, die in Reichweite ihrer Schiffe lagen, einer negativen Invasion gleichkam - negativ, weil sie demografisch nicht wirklich präsent waren. Leider wurde dieses Geschäftgebaren von der sogenannten angelsächsischen Welt weitgehend übernommen.

Die Kolonialmächte hatten nur Interesse an ganz speziellen Wirtschaftsbereichen und überließen die übrige Gesellschaft einheimischen Feudalherren.


Auch die politisch gewollte Technifizierung ist natürlich gewissermaßen eine virtuelle Bevölkerungs- bzw. Arbeiterkonzentration.

Sie könnte damit Anlass zu einer bewussten Drosselung des Bevölkerungswachstums geben.

Offensichtlich bildet Technologie aber im Gegenteil einen Anreiz, das eigene Geschlecht jetzt erst recht mit Hilfe der neu errungenen Macht über einen dienstwilligen Maschinenpark in nie gekannte Dimensionen zu vermehren ...
Ein weiterer, neu hinzukommender Aspekt sind die Gewinnaussichten für die dienstwilligen Technologien, die den zahlreichen Menschen mit feudalistischen Neigungen entgegen kommen.



Quellenangaben


Thomas Robert Malthus: Das Bevölkerungsgesetz; hgg. u. übers. von Christian M. Barth (Originalausgabe London, 1798). München, 1977.

Ester Boserup: The conditions of agricultural growth - The economics of agrarian change under population pressure. London, 1965 (Nachdruck 1993).

M.H. Glantz (ed.): Drought follows the plow - cultivating marginal areas. Cambridge Univ. Press, New York, 1994.

Jared Diamond: Arm und Reich - Die Schicksale menschlicher Gesellschaften. Frankfurt, 1998.