Regionale Archäobotanik


"Unter Fundstelle verstehen wir eine möglichst genau datierte Siedlungsphase. Ein Fundplatz kann also durch mehrere Fundstellen vertreten sein." [Jacomet 2008]


In der linksrheinischen Lößbörde wird seit 40 Jahren eine Rekonstruktion der Landschaftsentwicklung mit Hilfe der Archäobotanik versucht [Knörzer et al. 1999].

Hier am Niederrhein stammen vorrömische Funde überwiegend aus der Lößbörde bei Jülich, Bedburg und Erkelenz, spätere Nachweise dann aus dem Rheintal (z.B. bei Xanten und Neuss) [Knörzer et al. 1999, Teil 2].


Möglicherweise war das niederrheinische Lössgebiet ein Zentrum des Altneolithikums. Für die Spätzeit des Neolithikums gibt es im Rheinland keine solchen paläoethnobotanischen Nachweise.


Fundnachweise dieses späten Neolithikums aus der Schweiz nördlich der Alpen und aus Südwestdeutschland wurden von Frau Jacomet analysiert. Die Fundstellen "aus Rettungsgrabungen" lagen insbesondere am Genfer, Bieler, Zuger und Zürich-See, sowie am deutschen Bodenseeufer und im Gebiet des Federsees. [Jacomet 2008]

Aus dem Schweizer Mittelland des Spätneolithikums lagen noch kaum Kulturschichten und Funde vor, die Funde stammten aus den vorgelagerten Gebieten; aus dem Endneolithikum stammten dann die meisten Funde aus dem Schweizer Mittelland.



Pflanzenreste (Makrofossilien)

Makrofossilien erhalten sich "in marinen und limnischen Sedimenten", aber auch in organischen Ablagerungen hygrischer Standorte; außerdem durch Abdrücke und Versteinerungen [Frey/ Lösch 1998, Teil 5].


Kleinreste wie Samen erhalten sich vorwiegend in wassergesättigten Sedimenten, während Großreste (Holz) am besten durch Inkohlung bei schwacher Hitzeentwicklung konserviert werden, also zumeist am Rand von Feuerstellen.
Außerdem gibt es die Trockenkonservierung in aridem Klima, aber auch an bestimmten Stellen in Bauwerken.
[Knörzer et al. 1999, Teil 2]


Paläoethnobotanische Nachweise über das Pflanzeninventar und seine Nutzung sind praktisch nur über erhaltene Samen und Früchte zu erbringen, was die genutzten Blattpflanzen weitgehend von der Betrachtung ausschließt; ihre Samen könnten ebensogut von Wildpflanzen stammen [Knörzer et al. 1999, Teil 2].

Allerdings sollten in dieser Betrachtung gerade auch die vorhandenen und genutzten Wildpflanzen interessieren statt nur der importierten Kulturpflanzen.

Dieses Pflanzeninventar hat auch heute noch Verbreitungsgebiete in den Klimazonen des Nordens (für die Späteiszeit) oder in gemäßigten und wärmeren Klimagebieten (für die Wärmezeit).


Bei den Pflanzenresten haben Holzreste einen hohen Anteil, was natürlich nicht direkt mit der Nahrungs-Subsistenz zu tun hat. Gehölzreste geben aber Aufschluss über die Energieversorgung, technische Entwicklungen und nicht zuletzt über die Viehhaltung.

Auch die Analyse der Holzkohlen aus den Scheiterhaufen römerzeitlicher Brandgräber scheint relevante Ergebnisse erbracht zu haben [Knörzer et al. 1999].


Allerdings lassen sich die Arten einer Gehölzgattung holzanatomisch kaum unterscheiden.
Der Pomoideae-Holztyp der Gattungen Crataegus, Malus, Pyrus, Sorbus wurde im Rheinland anscheinend sehr häufig gefunden.
[Knörzer et al. 1999, Teil 3]


Die "Seeufersiedlungen im Umkreis der Alpen" bieten aufgrund der Feuchtbodenverhältnisse archäologisch vorteilhafte Erhaltungsbedingungen gegenüber Trockenbodenverhältnissen [Jacomet 2008].

Denn an trockenen Fundstellen sind Taxa "mit größerer Verkohlungschance und besserer Verkohlungsfähigkeit" gegenüber den wilden Krautpflanzen überrepräsentiert: "Meist dominieren Getreide und deren Unkräuter in Mineralbodenfundstellen. Dadurch fokussiert sich die Betrachtung auf den Ackerbau." [Jacomet 2008]
Hohe Fundzahlen an Wildpflanzen wie Wildäpfeln und Beeren gebe es nur unter Feuchtbodenverhältnissen.



Pollenanalysen

Pollen sind Mikrofossilien [Frey/ Lösch 1998, Teil 5].
Pollen sind unter Luftabschluss (wie auf dem Grund von Seen) Jahrmillionen haltbar [Sirocko 2009, Kap.3].


Windbestäubte Arten sind aber durch Pollenfossilien überrepräsentiert.
Insektenblütler produzieren weniger Pollen als Windblütler und ihr Pollen dürfte nur kleinräumige Verbreitung erfahren.
Daher kann die Pollenanalyse keine Auskunft über alle pflanzliche Ressourcen erbringen.


Die Analyse unter anaeroben Bedingungen konservierter Pollenablagerungen ist vor allem wegen der möglichen Betrachtung der chronologischen Ablagerung in der Profilsäule interessant [Knörzer et al. 1999, Teil 1].

Von Frank Sirocko wurde ein sehr informatives Buch mit den detailreichen Pollenanalysen verschiedener Eifelmaare herausgegeben. Die vollständigste Pollenchronologie aus der Westeifel stammt vom Dehner Trockenmaar [Sirocko 2009, Kap.11].


Die Pollenanalyse gibt aber nur Aufschluss über die allgemeine Vegetationsentwicklung insbesondere des Waldes und seiner dominierenden (windbestäubten) Baumarten. Selbst in der Zeit spätgazialer Kälte überwogen die Baumpollen bei weitem.

Für die spät- und nacheiszeitliche Vegetationsentwicklung wurden von verschiedenen Bearbeitern 9 - 12 aufeinanderfolgende Pollenzonen aufgestellt, die mehr oder weniger mit den einzelnen Klimaperioden korrelieren.


Die landwirtschaftliche Rodung führte zur Zunahme von Nichtbaumpollen (NBP) insbesondere von Ruderalpflanzen wie Chenopodiaceen und Plantaginaceen. Getreidepollen ist erst bei flächenhafter Rodung nachweisbar, insbesondere seit dem Mittelalter, dann auch Roggen.


Datierungsmethoden [nach: Frey/ Lösch 1998, Teil 5]

Pollenanalysen müssen auf irgendeine Art kalibriert, das heißt, chronologisch eingeordnet werden; das geschah zumeist mit Hilfe der Warvenchronologie und durch die Radiokarbon-Datierung organischer Materialien.
Eine Warvenchronologie kann rekonstruiert werden anhand von jährlich abgelagerten, jahreszeitlich unterscheidbaren Sedimentschichten (= Warven) bis zu einem Alter von 20000 Jahren.

Eine physikalische Altersbestimmung kann anhand der Halbwertzeit verschiedenster enthaltener radioaktiver Elemente erstellt werden, die aber jeweils nur einen bestimmten, sehr langen Zeitrahmen wiedergeben.

Relativ zeitnah scheint nur die Radiokarbon- (14C-)Methode anwendbar zu sein. Sie erfolgt durch Bestimmung des 14C-Verhältnisses zum stabileren 12C. Die Radiokarbon-Datierung wird allerdings stark vefälscht durch die schwankenden CO2-Gehalte der Atmosphäre.


Die Dendrochronologie der Jahresringe von Bäumen hat gegenüber der Analyse radioaktiver Elemente den Vorteil, dass sie praktisch jedes Jahr exakt erfasst. Ihr Nachteil ist, dass sie nur außerhalb tropischer Klimate möglich ist und nur eine begrenzte Bestimmung je nach dem möglichen Alter verfügbarer Holzreste zulässt.

Die dendrochronologische Kalibrierung verlegte die Datierungsgrenzen zwischen den verschiedenen nacheiszeitlichen Epochen gegenüber der Radiokarbondatierung beträchlich zurück, im Fall der Grenze zwischen Atlantikum und Boreal beispielsweise um ein volles Jahrtausend.




Quellenangaben


André Varagnac: Die Europäer in der Zeit des vorgeschichtlichen Urwaldes (in: Der Mensch der Urzeit - 600000 Jahre Menschheitsgeschichte. Düsseldorf, 1960.)

W. Hirschberg/ A. Janata (Hg.): Technologie und Ergologie in der Völkerkunde. Mannheim, 1966.

W. Holzner: Acker-Unkräuter. Graz, 1981.

Grau/ Jung/ Münker: Beeren, Wildgemüse, Heilkräuter (Steinbachs Naturführer). München, 1983.

Klaus Herrman: Pflügen, Säen, Ernten - Landarbeit und Landtechnik in der Geschichte. Hamburg, 1985.

Bernard Campbell: Ökologie des Menschen - unsere Stellung in der Natur von der Vorzeit bis heute. Frankfurt/ Berlin, 1987. (Originalausgabe London, 1983.)

Udelgard Körber-Grohne: Nutzpflanzen in Deutschland - Kulturgeschichte und Biologie. Stuttgart, 1987.

Daniel Zohary/ Maria Hopf: Domestication of Plants in the Old World (The origin and spread of cultivated plants in West Asia, Europe, and the Nile Valley). Oxford/ New York, 1988.

Ruprecht Düll/ Herfried Kutzelnigg: Botanisch-ökologisches Exkursionstaschenbuch - Das Wichtigste zur Biologie heimischer Pflanzen; 3.Aufl.. Heidelberg/ Wiesbaden, 1988.

Martin Hanf: Farbatlas der Wildkräuter und Unkräuter. Stuttgart, 1998.

Fred-Günter Schroeder: Lehrbuch der Pflanzengeographie. Wiesbaden, 1998.
- Abschnitt "Die Wiederbewaldung nach der letzten Eiszeit" S. 394

Wolfgang Frey/ Rainer Lösch: Lehrbuch der Geobotanik - Pflanze und Vegetation in Raum und Zeit. Stuttgart/ Jena/ Lübeck/ Ulm, 1998.
- Teil 5 - Floren- und Vegetationsgeschichte (Historisch-genetische Geobotanik)
- - Tabelle zur Chronologie von Spät- und Nacheiszeit S. 96

Jared Diamond: Arm und Reich - Die Schicksale menschlicher Gesellschaften. Frankfurt, 1998.

Karl-Heinz Knörzer et al.: PflanzenSpuren - Archäobotanik im Rheinland - Agrarlandschaft und Nutzpflanzen im Wandel der Zeiten. Köln, 1999.
- Teil 1: Jutta Meuers-Balke/ Arie J. Kalis/ Renate Gerlach/ Antonius Jürgens: Landschafts- und Siedlungsgeschichte des Rheinlandes
- Teil 2: K.-H. Knörzer/ Renate Gerlach: Geschichte der Nahrungs- und Nutzpflanzen im Rheinland
- Teil 3: A.J. Kalis/ U. Tegtmeier: Gehölze als Nutzpflanzen

Stefanie Jacomet, Basel: Subsistenz und Landnutzung während des 3. Jahrtausends v. Chr. aufgrund von archäobotanischen Daten aus dem südwestlichen Mitteleuropa (in: W. Dörfler/ J. Müller (Hrsg.), Umwelt – Wirtschaft – Siedlungen im dritten vorchristlichen Jahrtausend Mitteleuropas und Südskandinaviens. Neumünster, 2008.)

Frank Sirocko (Hg.): Wetter, Klima, Menschheitsentwicklung - Von der Eiszeit bis ins 21. Jahrhundert. Darmstadt, 2009.
- Kap.3: Pollenanalyse als Grundlage der Rekonstruktion von Umwelt- und Vegetationsgeschichte
- Kap.10 : Sabine Gaudzinski-Windheuser: Frühe Europäer …
- Kap.11: Olaf Jöris et al.: Das Aurignacien - erste anatomisch moderne Menschen …
- Kap.12: Olaf Jöris et al.: Das Mittlere Jungpaläolithikum
- Kap.13: Olaf Jöris et al.: Siedlungsleer - das Kältemaximum der letzten Kaltzeit
- Kap.14: Martin Street/ Olaf Jöris/ Frank Sirocko: Das Magdalénien und der Beginn der späteiszeitlichen Expansion
- Kap.16 : Olaf Jöris/ Martin Street/ Frank Sirocko: Rentierjäger der Jüngeren Dryaszeit
- Kap.17: H. Löhr/ O. Jöris/ M. Street/ F. Sirocko: Sammler und Jäger in den ersten warmzeitlichen Wäldern
- Kap.19: Detlev Gronenborn/ Frank Sirocko: Linearbandkeramik, Hinkelstein und die Intensivierung der Waldweide
- Kap.20: Detlev Gronenborn/ Frank Sirocko: Viehwirtschaft und die Ausbreitung der Michelsberger Kultur

Hermann Parzinger: Die Kinder des Prometheus - Eine Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift. München, 2014.

Wikipedia-Artikel:
- "Duvensee (mesolithische Wohnplätze)", Stand: 20. August 2022
- "Linearbandkeramische Kultur", Stand: 15. September 2022