Pflanzliche Grundlagen der Subsistenz im steinzeitlichen Westeuropa


Nicht nur die späteiszeitliche Landschaft Europas kann als karg und arm an pflanzlichen Nahrungsressourcen angesehen werden.
Auch die nacheiszeitliche Vegetation Europas ist äußerst arm an kohlehydratreichen Pflanzen. Vielversprechende Nahrungspflanzen finden sich bis auf die kosmopolitische Haselnuss nur unter den Beerenfrüchten und Blattpflanzen.


Eine nicht unbedeutende Zukost bedeuten noch heute beispielsweise in Osteuropa Pilze. Pilze sind allerdings keine Pflanzen, Speisepilze leben aber in Symbiosen mit Pflanzen. Dabei ist zu bedenken, dass fast alle Speisepilze nur im Wald vorkommen als Symbionten von Baumarten oder als Holzzersetzer. Pilze dürften sich also erst mit den Baumarten nach der größten Kälte ausgebreitet haben.


Pioniergehölze, die die offene Tundra besiedeln, waren angeblich zuerst Wacholder und Sanddorn [Sirocko 2009, Kap.3], dann Birken und Kiefern, außerdem Weiden und Pappeln.



Spuren der Frühzeit mögen hauptsächlich Steine und Knochen sein, eine mindestens ebensogroße Bedeutung für die technische Subsistenz hatte aber Holz.

Die Hauptnutzung von Gehölzen in der Steinzeit war die als Brennholz, im Neolithikum gefolgt von der Nutzung als Laubfutter [Knörzer et al. 1999, Teil 1].


Obwohl sich die neolithischen Gesellschaften mit importierten Kulturpflanzen (und Nutztieren) versorgten, interessiert das Spektrum der Ressourcennutzung aus der Natur.

Im südwestlichen Mitteleuropa erfolgte eine "aktive Umgestaltung" der sich entwickelnden Vegetation auch mit Hilfe des Feuers, um besseren Zugang zu und höhere Erträge von Wildpflanzen wie Haselnüssen, Eicheln, Holzäpfeln zu erhalten. Möglicherweise wurden solche Arten sogar umgepflanzt und könnten einen hohen Anteil an der pflanzlichen Nahrung ausgemacht haben. [Jacomet 2008]

Im Neolithikum ist dann auch eine deutliche Fokussierung der Nutzung von Pflanzenressourcen auf die Versorgung von domestizierten Tieren festzustellen. Zweifellos wurden auch in Mitteleuropa Brände gelegt, um Viehweiden zu schaffen oder zu verbessern.


Indem die Bauern ihre Selbstversorgung mit Hilfe eingeführter domestizierter Pflanzen und Tiere verbesserten, verursachten sie eine bedeutende Transformation des Bioms mit seiner Artenzusammensetzung.



Pflanzliche Nahrungsressourcen


Die Verwendung von Wildpflanzen als Würze und Heilmittel seit der Vorzeit gilt als sicher. Wahrscheinlich wurden im Paläo- und Mesolithikum alle genießbar erscheinenden Blattpflanzen, Samen und Beeren gegessen.

Mit dem Ende der Eiszeit fand sich auch in Europa mehr Pflanzennahrung.


Im Gegensatz zur endemischen Nutzpflanzenflora des Vorderen Orients, die weltweit zur Nahrungsgrundlage der Menschheit geworden ist, erweist sich die durch Pionierarten dominierte nacheiszeitliche Flora Westeuropas als sehr arm an stärkereichen Pflanzen. Dafür besitzt sie zeifellos einen größeren Reichtum an nutz- und domestizierbaren Blattpflanzen und Beeren.



Blattnahrung

Der Urinstinkt signalisiert, dass man sich in großer Not am ehesten mit frischem Blattzeug zu ernähren versuchen sollte.

Es gibt eine Reihe heutiger Wildgemüse, die wahrscheinlich schon seit frühester postglazialer Zeit in Nordwesteuropa heimisch sind.

Beispielsweise ist das Weidenröschen (Epilobium angustifolium) als einer der klassischen Wildsalate eine Pionierpflanze gestörter Plätze bis in die subpolare Zone hinein.
Der seit dem Spätglazial sich ausbreitende Löwenzahn wurde eine der wenigen Wildpflanzen Europas, die auch domestiziert worden sind.
Auch die Klette (Arctium lappa) ist seit Urzeiten im kaltgemäßigten Klima zuhause und wurde in Ostasien schon in frühester Zeit domestiziert. Die gekochten Blätter, Stängel und Wurzeln dienen als Gemüse.


Auch Sauerampfer (Rumex acetosa), Spitz- und Breitwegerich (Plantago lanceolata + major) konnten schon bei noch recht kühlen Umweltbedingungen wertvolle Blattnahrung in ausreichenden Mengen erzeugen.

Auf Grund eines Fundes an der Erft wird darüber spekuliert, dass Chenopodium album, der Weiße Gänsefuß eine Kulturpflanze des Mesolithikums gewesen sein könnte [Knörzer et al. 1999, Teil 2].
Neben den gekochten Blättern sind auch seine Samen essbar, sie wurden auch in späteren Zeiten "mit Roggen zum sogenannten Hungerbrot verarbeitet" [Grau et al. 1983].
Das Laub scheint aber wegen seines hohen Oxalat-Gehaltes nicht unproblematisch zu sein [Rheinland-Flora 2012].

Der hohe Oxalat-Gehalt stellt auch bei den Ampferarten ein Problem dar. Manche Ampferarten wie Rumex crispus werden sogar vom Vieh verschmäht und sind berüchtigte Weideunkräuter. [Körber-Grohne 1987]


Auch die nahe verwandten Melde-Arten (Atriplex) gelten als geeignete Gemüse und kosmopolitische Pionierarten nicht nur auf gerodeten Flächen.

Die prähistorische Verwendung der nach Knoblauch schmeckenden Pflanzen Alliaria petiolata, Knoblauchsrauke und Allium ursinum, Bärlauch scheint nachgewiesen zu sein.

Giersch und Brennessel kommen erst an humus- und nährstoffreichen Standorten massenhaft vor.


Wilder Feldsalat (Valerianella locusta) ist bereits aus Schweizer Pfahlbausiedlungen nachgewiesen, wobei auch seine Einführung als Palaeophyt (mit Saatgut usw.) möglich ist. Intensiv genutzt wurde er erst, seit er sich auf den Bracheäckern der Dreifelderwirtschaft stark ausbreiten konnte. Dasselbe gilt für die Rosetten von Glockenblumen, insbesondere der einheimischen Rapunzel-Glockenblume (Campanula rapunculus). [Körber-Grohne 1987]


Malven, deren Blätter ebenfalls ein Wildgemüse ergeben, sind schon als Vertreter eines wärmeren Klimas anzusehen; aber das Klima des europäischen Neolithikums war ja tatsächlich um einiges wärmer als das Klima der Neuzeit.
Sogar die noch jungen Blätter und Blütenköpfe der verschiedensten Distel-Arten können als Gemüse verwendet werden [Grau et al. 1983].
Vom Wilden Hopfen können die jungen Frühjahrstriebe roh oder gekocht wie Spargel verzehrt werden [Düll/ Kutzelnigg 1988].


Außer diesen in großen Mengen vorkommenden Arten gibt es noch eine Vielzahl weiterer essbarer Blattpflanzen, viele auch in Wäldern.

Alle diese Blattpflanzen haben allerdings ihren Hauptaspekt als Nutzpflanzen im Frühjahr. Dann hat der menschliche Organismus andererseits auch den höchsten Bedarf nach Vitaminen und Mineralstoffen. [Grau et al. 1983]



Wasserpflanzen

Mesolithische Kulturen sollen sich bei zunehmender Bewaldung an die Gewässer und Meeresküsten zurückgezogen haben.
Seit der Steinzeit und bis ins 19. Jh. wurde von Wasserpflanzen gewonnene Nahrung intensiv genutzt. [Varagnac 1960] Diese Pflanzenteile unterschieden sich von den meisten einheimischen Landpflanzen durch ihren relativ hohen Energiegehalt.

Essbar sollen angeblich die stärkeführenden und sehr ertragreichen Rhizome (und Stängel) des Schilfs (Phragmites communis) und des Rohrkolbens (Typha - Arten) sein und die Wurzeln einiger Seerosengewächse und des Sumpfklees (Menyanthes trifoliata) [Varagnac 1960].

Verzehrt werden können auch die Früchte der Wasserkastanie (Trapa natans), die gerade im wärmebegünstigten Atlantikum eine große Ausbreitung erlebte.
Ebenso verzehrbar sind die Samen der Gelben Teichrose (Nuphar luteum), ebenfalls eine wärmeliebende Pflanze, die sich in dieser Klimaperiode ausbreitete.
In Osteuropa wurden riesige Flächen mit Sumpfmanna (Glyceria fluitans), eines Rispengrases, von Booten aus beerntet wegen seiner süß schmeckenden Samen in Karyopsen [Varagnac 1960].

Die im Wasser wachsenden Arten Brunnenkresse (Nasturtium officinale) und Bachbunge (Veronica beccabunga + anagallis-aquatica) dürften einen guten Salat geliefert haben.



Wassernuss

Wassernuss (Trapa natans)
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Während des Klimaoptimums im Atlantikum reichte der Lindenwald bis Mittelschweden [Knörzer et al. 1999, Teil 1]. Die Wassernuß (Trapa natans) war nur in dieser Wärmezeit in Europa weit verbreitet, soll aber später weiterhin kultiviert worden sein. Heute ist sie fast ausgestorben.
Das Besondere an der Nussfrucht dieser Wasserpflanze, die sich mit Hilfe ihrer verholzenden Kelchblätter im Gewässerboden festsetzt, ist der hohe Stärkegehalt eines ihrer Keimblätter. Die Nusskerne konnten auch gekocht oder zu Mehl verarbeitet werden, und die Wassernuss wurde auf Märkten angeboten. [Düll/ Kutzelnigg 1988]
Unterwasserernte und Verarbeitung müssen aber mit viel Mühe verbunden gewesen sein.


Die Nutzung der Teichrosen (Nuphar luteum + pumila) erscheint vielversprechender, weil ihre in vielsamige Einzelfrüchte zerfallende Sammelfrüchte [Düll/ Kutzelnigg 1988] leichter zu ernten sind, und die Pflanzen Massenbestände bilden.
Doch auch die Wurzeln verschiedener Nymphaeaceen sollen essbar sein, teilweise sogar roh. Die asiatische Lotosblume wurde deshalb sogar domestiziert.


Für die typischen Muschelhaufenkulturen des Mesolithikums könnte auch die reiche Flora des Küstensaums von Bedeutung gewesen sein:
An den Meeresküsten häufig sind der Meerkohl (Crambe maritima) und der sukkulente und salzanreichernde Queller (Salicornia europaea). In Küstennähe gedeiht auch Triglochin maritima, der Röhlk oder Stranddreizack, von dem auch die Wegerich-ähnlichen Samen essbar sind [Grau et al. 1983].



Wurzelkost

Aus den Tropen ist bekannt, dass sich ganze Völker seit Urzeiten zu einem Gutteil von stärkereichen Wurzelknollen ernährt haben.

Die nördlichen Rohböden unter Eiszeiteinfluss waren für Knollengewächse nicht unbedingt der beste Standort. Erstaunlich ist, dass gerade die Rohböden der Anden so viele für die menschliche Ernährung wertvolle Knollenpflanzen hervorgebracht haben. Wahrscheinlich wachsen diese vornehmlich an Standorten mit Gebirgsalluvien, also akkumulierten Bodenbestandteilen.
In Europa hätten sich Pflanzen mit nahrhaften Wurzeln auf Schmelzwasser-Alluvien ansiedeln können, bei fortgeschrittener Bewaldung auf Humusstandorten.


Natürlich kann man die Wurzeln vieler Stauden ausgraben und verzehren, wahrscheinlich wird das aber die Eingeweide gehörig umstülpen.
Der Mensch der Vorzeit hat sich an eine derartige Wurzelkost vielleicht gewöhnen können. Die Wurzeln könnten in verträglichen Mischungen zubereitet und gekocht worden sein.

Die Wurzeln von Klette und Löwenzahn wären auch von der mengenmäßigen Ausbeute geeignete Kandidaten gewesen.

Es ist außerdem nicht ausgeschlossen, dass schon in Sammler-Kulturen Wurzeln ausgegraben und dann weiterkultiviert und gepflegt wurden, um die Ausbeute zu erhöhen.


Die Wurzel der Wildmöhre (Daucus carota) soll selbst für heutige Menschen genießbar sein, aber die Ausbeute solcher Wurzeln ist so gering, dass sich das Ausgraben kaum lohnt [Körber-Grohne 1987].

Die nordwesteuropäische Flora enthält tatsächlich noch weitere Doldenblütler, die knollenartige Verdickungen des Wurzelbereiches besitzen: neben der Kerbelrübe (Chaerophyllum bulbosum) [ Rheinland-Flora 2010 ] auch die zwei Arten von Erdkastanien (auch Knollenkümmel genannt) Bunium bulbocastanum und Conopodium majus.
Bunium bulbocastanum kommt heute nur in der Eifel und anderen Mittelgebirgen, nicht im nördlichen Tiefland vor, Conopodium majus nur im atlantischen Küstenbereich.


Besonders wohlschmeckende Wurzelkost sollen Glockenblumen (Campanula) liefern, von welchen C. rapunculus [Körber-Grohne 1987] und der Palaeophyt C. rapunculoides [Grau et al. 1983] sogar domestiziert worden sind.


Eine weltweit von Naturvölkern genutzte Quelle für Stärkenahrung waren die getrockneten und zermahlenen Wurzelstöcke des kosmopolitischen Adlerfarns (Pteridium aquilinum), dessen Pollen beispielsweise im Rheinland seit dem Boreal nachgewiesen sind und in der Rodungsphase der Eisenzeit ihr Maximum erreichten [Pollendiagram in: Knörzer et al. 1999]. Auch die noch unentfalteten Blattwedel wurden verzehrt.
Es ist mir nicht bekannt, ob diese Nahrungsressource auch im steinzeitlichen Europa genutzt wurde. Jedenfalls sind die Pflanzenteile des Adlerfarns "schwach giftig und bei länger anhaltendem Verzehr vermutlich krebsauslösend" [Düll/ Kutzelnigg 1988].



Beeren und andere Früchte

In der eiszeitlichen Kältesteppe standen Mammutjägern vielleicht Sanddornbeeren zur Verfügung. Die Beerenzapfen des Wacholders (Juniperus communis) sind dagegen giftig - jedenfalls für den heutigen Menschen in Mahlzeiten mit mehr als drei Wacholderbeeren [Düll/ Kutzelnigg 1988]!

Auch die schwarzen "Krähenbeeren" des in den Eiszeiten überdauernden Zwergstrauches Empetrum nigrum sind leicht giftig; diese Krähenbeeren-Art kommt heute noch in Norddeutschland vor. In Skandinavien und Nord-Eurasien gibt es aber eine weitere Empetrum-Art, die offenbar in größeren Mengen gegessen wird.


Selbst in subarktischen Gebieten kann man jedes Jahr einige Wochen nach Beeren suchen, denn Vaccinium-Arten wachsen auch in Mooren und der Tundra.
In den borealen und nemoralen Waldgebieten gehören Heidel- und die kleineren Preiselbeeren jedoch zum angestammten, in Massen vorkommenden Artenbestand. Hinzu kommen Brombeeren und Himbeeren (Rubus-Arten). Auch aus einigen einheimischen Ribes-Arten wurden wichtige Beerenobst-Arten domestiziert, obwohl ihre Wildformen bis auf die Schwarze Johannisbeere den Sammlern wohl kaum einen Nutzen brachten.


Viele beerenartige Früchte der höheren Sträucher sind aber giftig oder der Verdauung unzuträglich. Gerade unter den Gehölzen des wärmeren, südeuropäischen Klimas scheint es besonders viele Arten mit giftigen Früchten zu geben.


Alle Teile der Eibe sind giftig bis auf den roten, fleischigen Samenmantel; das Eibengrün ist auch für das Vieh gefährlich.
Eine "Ansammlung von entkernten Beeren im altneolithischen Brunnen von Kückhoven" deutet darauf hin, dass es damals eine intensive Sammeltätigkeit gab, dass aber die Schadwirkungen einzelner Pflanzen wohlbekannt waren. [Knörzer et al. 1999, Teil 3]


Alle Pflanzenteile der sich noch in der Späteiszeit ausbreitenden Traubenkirsche (Prunus padus) sollen zwar Blausäure enthalten, die in Trauben stehenden bitteren Früchte sind aber trotzem essbar.
Wann sich die gerade in ihrer Wildform besonders wohlschmeckende Süßkirsche (Prunus avium) in Westeuropa ausgebreitet hat, scheint nicht bekannt zu sein.

Die Vit. C - reichen Beeren des Schwarzen Holunders (Sambucus nigra) sollen vor dem Verzehr erhitzt werden. Die schwarzen Beeren des Zwergholunders (Sambucus ebulus) sind sogar zu giftig für jeden Verzehr. Auch die Samen des rotfrüchtigen Sambucus racemosa sind giftig, der Saft soll dagegen verwendbar sein. [Knörzer et al. 1999, Teil 3]


Wildfrüchte, die im Rheinland erst für das Altneolithikum nachgewiesen sind, könnten bereits im Mesolithikum breite Verwendung gefunden haben: Brombeeren, Himbeeren, Hagebutten, Schlehen, Schwarzer Holunder [Knörzer et al. 1999, Teil 2].


Auch die kleinen und herben Holzäpfel des europäischen Wildapfels (Malus sylvestris) sind notfalls gekocht und getrocknet genießbar [Knörzer et al. 1999, Teil 3]. In der Frühgeschichte scheinen wilde Äpfel und Birnen halbiert und dann getrocknet worden zu sein [Zohary/ Hopf 1988].



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