Zur Systematik der Blütenpflanzen

Die Bedecktsamer (Angiospermae) als Blütenpflanzen im engeren Sinne sind die artenreichste Pflanzengruppe und gleichzeitig auch die jüngste Entwicklungslinie der Pflanzen. Während ihr Artenreichtum die Klassifikation erschwert, sollte ihre relativ gegenwartsnahe evolutionäre Entwicklung die Aufklärung ihrer stammesgeschichtlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen erleichtern. Doch liegen die Ursprünge der Angiospermen insgesamt ebenso wie die ihrer Entwicklungslinien im Dunkeln.




Systematik als Taxonomie und Phylogenie

Systematische Botanik sollte allgemeinverständlich sein; doch schon die Bestimmungsschlüssel seit Otto Schmeil waren dies schon lange nicht mehr.

Die Autoritäten der Botanik liebten es, die Grundlagen des Pflanzenlebens mit einer solchen Vielzahl deutscher und lateinischer Fachausdrücke zu belegen, dass der Sinn ihrer Aussagen in einem dunklen Loch verschwand. Heute muss man sich zusätzlich mit einer vielleicht noch umfangreicheren englischen Fach-Terminologie herumschlagen. Auch die Einbeziehung einer Unzahl chemischer Verbindungen und genetischer Kürzel, die für wichtig gehalten werden, macht die taxonomische Pflanzenkunde immer unverständlicher.

Das größte Problem stellt aber die notwendige Kenntnis der Methoden der algorhythmischen Datenverarbeitung dar, die zum Nachweis stammesgeschichtlicher (phylogenetischer) Beziehungen eingesetzt werden.


Taxa sind objektiv gesehen vielleicht lediglich menschliche Definitions- und Beschreibungsversuche; allerdings ist anzunehmen, dass ihnen eine erkennbare biologische Ordnung zugrunde liegt (Melchior 1954).

Eine solche kann ich in dem kladistischen System der "Angiosperm Phylogeny Group", das im Internet veröffentlicht wurde, leider nicht erkennen. Immerhin wurde die akademische Behandlung der biologischen Ordnung hier der gesamten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt und in großer Vollständigkeit und Ausführlichkeit gewürdigt.


Alle traditionellen Versuche der systematischen Klassifizierung der Pflanzenwelt gingen von äußerlichen Merkmalen oder Ähnlichkeiten aus; die heutige Klassifikation verlässt sich auf statistische und genetische Ähnlichkeiten.

Carl von Linné stellte sein System anhand der Anzahl bestimmter Blütenorgane auf.
John Hutchinson erarbeitete seit den 1950-er Jahren eine botanisch und praktisch sehr viel kompetentere Systematik, die in zwei Entwicklungslinien unterteilt wurde, die sich jeweils überwiegend aus Holzgewächsen bzw. Krautpflanzen konstituierten.

Beide Modelle können als künstliche Systeme aufgefasst werden, obwohl sie von natürlichen Merkmalen ausgehen. Hutchinson berief sich jedoch außerdem auf entwicklungsgeschichtliche Überlegungen und hatte dabei vielleicht sogar recht.


An vielen Pflanzensystemen und Taxa wird kritisiert, dass nur Äußerlichkeiten herangezogen würden, die die natürliche Verwandtschaft nicht widerspiegelten; diese werde folglich in ein künstliches System gepresst.

Zur Ergründung der natürlichen Ursprünge der heute lebenden Arten müsste man allerdings in ferne geologische Epochen zurückgehen. Und ein natürliches phylogenetisches System unter Einbeziehung paläontologischer, genetischer, evolutionsbiologischer und ökologischer Daten unterliegt ständiger Veränderung - nicht nur in einem solchen enormen geologischen Zeitrahmen, sondern auch relativ kurzfristig. Auch wegen sich häufig ändernder widerstreitender akademischer Auffassungen ...


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Die allgemeine und wissenschaftliche Anerkennung einer Species kann erst auf Grund der Beschreibung ihrer äußeren Merkmale erfolgen. Seit dem 19. Jh. geschah dies auch unter Einbeziehung der anatomischen Eigenschaften auch von Herbarmaterial (Wagenitz 1986).
Dieselben Ansprüche sollten natürlich auch die übergeordneten Taxa erfüllen, die die eigentliche pflanzensystematische Klassifikation bilden, indem Arten auf Grund ihrer Ähnlichkeit und Verwandtschaft gruppiert werden.



Die Getrenntblumenblättrigen in Schmeil's "Pflanzenkunde", 150.Aufl., 1931.


Nachdem nun ein umfangreiches Inventar auf Grund der manifestierten äußerlichen Gestalt erstellt worden war, ging man daran, diese Taxa anhand ihrer chemischen Inhaltsstoffe und genetischen Ausstattung zu hinterfragen.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Methoden der Systematik seit jeher äußerst komplexe Arbeitsweisen erforderten; dieselben wurden mittlerweile auch vom industriellen Maßstab der Informationstechnologie erreicht.


Neue Methoden

In den 60er Jahren wurde von Willi Hennig (1913 - 1976) die Kladistik oder phylogenetische Systematik angeregt - eine Methode, komplexe entwicklungsgeschichtliche Beziehungen grafisch in sogenannten Kladogrammen oder Verzweigungsdiagrammen darzustellen.
Ein Streit zwischen evolutionsbiologischer Taxonomie und den Kladisten soll von Anfang an entstanden sein - u.a. wegen der Einordnung fossiler Nachweise in die Kladistik (Gamlin/ Vines 1986).


In den aktuellen Taxationsversuchen auf Grund chemo- und molekularanalytischer, vor allem aber informationstechnisch-statistischer Untersuchungen werden nicht nur die übergeordneten Taxa weitgehend zerschlagen, sondern auch die bekannten Merkmals- und Beschreibungssysteme. Die Erklärungen für die neuen pflanzensystematischen Gruppierungen fallen ziemlich dürftig und in einem unverständlichen Fachjargon aus. Dadurch wird die phylogenetische Systematik bzw. die Verwandtschaft der Pflanzen immer weniger nachvollziehbar - weder mit den Sinnen erkennbar noch begrifflich oder geistig erfassbar.

Das erste System diesen Zuschnitts ist die Pflanzensystematik der "Angiosperm Phylogeny Group (APG)", die zwar jedermann online zugänglich ist ( www.mobot.org/MOBOT/research/APweb ), aber eine sehr undankbare Lektüre darstellt.


Der einschneidendste Unterschied des neuen kladistischen Systems der APG zu den alten Systemen ist die Aufgabe der formellen Taxa oberhalb der Ordnung.
In artenreichen Organismengruppen wie den Blütenpflanzen erfüllen aber gerade übergeordnete Taxa eine Funktion, da sie einen besseren Überblick vermitteln können als dichotome Kladogramme.

Ein weiteres Feature des neuen Systems, das dieses sehr unfertig aussehen lässt, ist die Aussonderung vieler Familien etc. als nicht zugehörig zu den höheren Kladen und Taxa. Dabei sind die einen Kladus definierenden Merkmale äußerst undurchsichtig.


Es hat immer Pflanzengruppen gegeben, bei denen man nicht wusste, wo man sie einordnen sollte (als Beispiel unter vielen die Salicales); diese wurden mit ähnlichen zu nicht direkt verwandten (polyphyletischen) Ordnungsgruppen zusammengestellt. Das soll in einer neuen Pflanzensystematik offenbar unter allen Umständen vermieden werden; daher werden in der APG-Systematik eine Reihe von Taxa wie die Ceratophyllaceae abgesondert, über deren wirkliche Stellung man sich nicht im Klaren ist.

Realistisch betrachtet kann das auch heißen, dass es zwischen den vielfältigen Pflanzentypen oberhalb gewisser taxonomischer Kategorien gar keine wirkliche Verwandtschaft mehr geben kann. Dies ist aber ein Gesichtspunkt, der wieder polyphyletische Gruppierungen nahelegt.


Offenbar blieben in den neuen Systemen die von vielen Botaniker-Generationen erarbeiteten Species, Gattungen und Pflanzenfamilien von den modernen Analyse-Methoden weitgehend unangetastet. Daraus kann man die Hoffnung ableiten, dass auch die äußere Erscheinung der Pflanze jenseits ihrer molekularen Struktur und digitalen Datenanalyse zu handfesten phylogenetischen Erkenntnissen führen kann.

Ich glaube nicht, dass es die richtige Methode ist, äußerst komplexe biologische und biochemische Gegebenheiten in eine extrem simple dichotome Darstellungs-Methode (die Kladistik) zu pressen. Die Pflanzenwelt wird auf statistische Funktionen und chemo-analytische Reaktionen reduziert, ihre Stellung in der Realität vernachlässigt. - Früher waren es allerdings schon anatomische und embryologische Spitzfindigkeiten, die den Blick auf die Notwendigkeiten einer praktischen Pflanzenkunde verstellten.


Parataxonomie

Für menschliche Bedürfnisse sind sicher andere Systeme der Taxonomie sinnvoller als die der Verwandtschaft:

  • Nutzfunktionen
  • Identifizierbarkeit
  • geografische Verbreitung
  • ökologische Anpassungen
  • biologische und physiologische Funktionalität

Solche Klassifikationen für den praktischen Gebrauch werden von Spichiger et al. 2004 als 'parataxonomy' bezeichnet.


P. F. Stevens vom APweb (Stevens 2012) bemerkt, dass ein Taxon (insbesondere unter den übergeordneten Taxa) zwar durch allgemeinen Konsens definiert werden könnte, seine phylogenetische Stellung aber unabhängig vom menschlichen Konsens besteht (oder eben nicht besteht) ...


Früher wurde die Systematische Botanik gleichgesetzt mit Taxonomie. Dann wurde die Klassifikation der äußeren Erscheinungsformen der Pflanzen zusätzlich erschwert durch die wissenschaftliche Forderung, auch die entwicklungsgeschichtlichen Beziehungen darzustellen. - Zu welchem Zweck eigentlich?





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Zur Systematik der Blütenpflanzen


1. Systematik als Taxonomie und Phylogenie

1.1. Neue Methoden

1.2. Parataxonomie

1.3. Ordnungs-
kategorien der Pflanzensystematik

1.4. Kladistik



2. Die Klassifikation der Blütenpflanzen (Angiospermae)

2.1. Die klassische Systematik

2.2. Die "Angiosperm Phylogeny Group"



3. Merkmals-Klassifikation

3.1. Äußere Merkmale

3.2. Klassische Merkmals-Systeme

3.3. Chemosystematik

3.4. Ökologische Verhältnisse



4. Evolution, Phylogenese, Verwandtschaft

4.1. Progressionen

4.2. Verwandtschaft - Beziehungen zwischen den Taxa



5. Fragwürdiger Output der APG-Kladistik

5.1. Beispiele



6. Quellenangaben





Ordnungskategorien und Kladistik





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